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Meinung: Ganz reale Gefahren

Man kennt die Szene von jedem Wahlabend: Alle sehen sich als Sieger, am lautesten die Verlierer. Dieser Reflex steckt offenbar so tief im Politiker, dass ihm nicht mal ein Verfassungsgericht Einhalt gebietet.

Von Robert Birnbaum

Man kennt die Szene von jedem Wahlabend: Alle sehen sich als Sieger, am lautesten die Verlierer. Dieser Reflex steckt offenbar so tief im Politiker, dass ihm nicht mal ein Verfassungsgericht Einhalt gebietet. Der Streit um Bundeswehreinsätze im Inneren geht weiter, fast als wäre nichts passiert. Leider konzentriert er sich aufs falsche Thema: die Sicherheit bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Eine WM ist zweifellos ein Großereignis, das die Sicherheitskräfte eines jeden Landes an ihre Grenzen bringt. Sie ist damit aber zugleich ein Lehrstück über die Grenzen von Sicherheit überhaupt. Die platte Formel „Je mehr Beamte, desto mehr Sicherheit“ stimmt ja allenfalls für jenen Bereich, in dem sich Hooligans anhand der Zahl der Uniformierten ihre Chancen auf Randale ausrechnen. Bei der Abwehr ernsthafter Bedrohungen zählt nicht Masse, sondern spezielle Fähigkeit und Planung. Die hat die Polizei oder hat sie nicht; der Gefreite als Hilfspolizist hilft ihr nicht weiter.

Wichtiger als das WM-Geplänkel wäre die Debatte über einen anderen Fall: den, dass der Mann im Tarnanzug Fähigkeiten hat, über die der zivile Wachtmeister nicht verfügt. Und dass diese – und nur diese – Fähigkeiten eine Gefahr abwenden können, die wir dem Ressort „innere Sicherheit“ zurechnen. Vielleicht zu Unrecht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass „Verteidigung“ ein komplizierter Vorgang geworden ist. Unsere Armee stabilisiert ein Land hinterm Hindukusch, damit es nicht wieder zur Brutstätte von Terror wird; sie überwacht Seewege; ihr effektivster Anti-Terror-Einsatz sind wahrscheinlich die Hilfsflüge ins Erdbebengebiet in Pakistan, wo einst antiwestliche Hassprediger die afghanischen Taliban rekrutierten.

Noch nicht gewöhnt haben wir uns an den Gedanken, dass ein diffuser Gegner namens „Terrorismus“ ein anderes Verständnis von Verteidigung auch innerhalb der Landesgrenzen erzwingt. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um groß angelegten Heimatschutz, nicht um paramilitärische Verbände. Es geht um Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe, Flugabwehr, die in bestimmten, eng begrenzten Situationen bitter nötig sein könnten. Das Verfassungsgericht hat uns erinnert, das wir im Kampf gegen den Terror unsere moralische Basis nie preisgeben dürfen. Davon, dass wir aus prinzipiellen Gründen jede militärische Waffe strecken müssen, ist in dem Urteil keine Rede.

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