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Ein Rabbiner hält in den Räumen der Israelitischen Kultusgemeinde in Hof ein Beschneidungsmesser, daneben liegt ein hebräisches Altes Testament. Das medizinische Besteck benötigt der Mohel (Beschneider) für die Brit Mila, die rituelle jüdische Beschneidung.

© dpa

Gastbeitrag: Beschneidungs-Debatte: Der heilige Eifer der Intoleranten

Das Beschneidungsurteil kommt einem Verbot der Religionsausübung gleich, sagt der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, Maram Stern. Und die Diskussion ist ein gefundenes Fressen für viele versteckte Antisemiten.

Die Debatte um ein Beschneidungsverbot in Deutschland löst in jüdischen Kreisen weltweit, aber auch darüber hinaus eine Mischung aus Verwunderung, Unverständnis und Spott aus. Für Juden in Deutschland ist das Thema allerdings nicht zum Lachen. Zum einen in der Sache selbst, denn die Brit Mila ist ein Kernelement des jüdischen Glaubens und unserer Identität. Ein Verbot der Beschneidung käme für viele de facto einem Verbot der Religionsausübung gleich.

Es ist aber nicht nur diese dramatische Folge eines nicht zu Ende gedachten Richterspruches, die Irritationen auslöst. Auch die Diskussion selbst verstört. Es ist der Tonfall einiger, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es ist die Rigidität, mit der plötzlich eine Debatte angezettelt wird, die vor dem Urteilsspruch des Kölner Landgerichts gar nicht stattfand. Es ist die im Gewande der Liberalität daherkommende Intoleranz einiger, die sich äußern. Es ist der heilige Eifer derer, die mit Religion gar nichts am Hut haben und doch wie mittelalterliche Inquisitoren auftreten.

Man gewinnt dabei den Eindruck, dass es vielen gar nicht um eine praktikable Lösung geht, die einer Demokratie, welche sich dem Schutz der Religionsfreiheit verpflichtet hat, eigentlich anstünde. Vielmehr ist hier – wieder einmal – ein typisch deutscher Wettbewerb entbrannt, bei dem es darum geht, auf der abstrakten Ebene Recht zu haben, die einzig gültige Wahrheit zu finden, der dann alle Gehorsam leisten müssen. Dieses Ansinnen verbirgt sich hinter einer Scheinheiligkeit, die einem die Zornesröte ins Gesicht treibt. Plötzlich entdecken Leute den Schutz des Kindswohls als eines ihrer Anliegen, die sich sonst nicht im mindestens für Familienthemen interessieren. Dabei ist die Brit Mila für Juden eines der wichtigsten familiären Ereignisse.

Im Video: Ein Interview mit einem Arzt zum Thema Beschneidung:

Schlimmer noch: Die Beschneidungsdebatte ist ein gefundenes Fressen für viele versteckte Antisemiten, denn sie bewegt sich im politisch korrekten Rahmen. Endlich kann man einmal seinen Unmut gegenüber den Juden zum Ausdruck bringen, ohne gleich als Rassist abgekanzelt zu werden. Zur Verlogenheit der Debatte gehört auch, sich hinter einer medizinischen Argumentation zu verstecken. Selten sind in so kurzer Zeit so viele Menschen in einer wissenschaftlichen Disziplin zu Experten geworden, welche eigentlich ein jahrelanges Studium erfordert. Am Ende der Argumentation heißt es dann immer, dass die Beschneidung medizinisch nicht notwendig ist, und also nur schädlich sein kann. Und so mir nichts, dir nichts ist aus einer jahrtausendealten, eingeübten religiösen Tradition, die bei Juden nur medizinisch geschulte Personen vornehmen dürfen, ein barbarischer Akt der Körperverletzung geworden.

Maram Stern.

© promo

Die Beschneidung ist nicht nur den Deutschen, sondern auch den meisten Westeuropäern fremd. Im Rest der Welt sieht das allerdings anders aus. Ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung ist beschnitten. Die meisten übrigens gerade nicht aus religiösen, sondern aus medizinischen Gründen. In Deutschland aber, scheint es, gibt es nur ein Ganz-oder-gar-nicht. Diese aufgeregte Diskussion versteht in anderen westlichen Ländern aber niemand. Ja, es gibt sie, die Debatte über Sinn und Zweck der religiösen Beschneidung in der heutigen Zeit, aber Fakt ist, dass nur eine verschwindend kleine Minderheit unter Juden und Muslimen ihre Kinder nicht beschneiden lässt.

Die Zirkumzision von minderjährigen Jungen zu verbieten wäre auch lebensfremd. Es würde wahrscheinlich ein Beschneidungstourismus in die Nachbarländer einsetzen, bis dann ein deutscher Richter einen Vater und eine Mutter für die im Ausland begangene „Körperverletzung“ bestrafen würde. Juden und Muslime könnten sich dann überlegen, ob sie auf einen zentralen Punkt ihrer religiösen Identität verzichten, sich bestrafen und sogar einsperren lassen, oder aber auswandern. So sieht es aus, wenn man die Sache konsequent zu Ende denkt.

Mut macht zumindest, dass sich die Politik – von der Kanzlerin über den Außenminister bis hin zu Vertretern fast aller Parteien – nicht an der Stimmungsmache gegen die Beschneidung beteiligt hat. Das bringt vielleicht kurzfristig keine Wählerstimmen, ist aber ein wichtiges Zeichen an Juden und Muslime, dass Deutschland trotz allem ein Ort ist, an dem wir willkommen sind.

Der Autor ist Vizepräsident und stellv. Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses (WJC).

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