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Gastbeitrag: Gesucht: Strategischer Partner (m w)

Die USA müssen sparen, auch beim Verteidigungshaushalt. Europa muss daher in Zukunft selbst die militärische Verantwortung auf den Kontinent übernehmen, sagt der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Europäische Politiker haben auf die jüngste amerikanische Sicherheitsdoktrin und die damit verbundenen Pläne für Truppenreduzierungen in Europa mit einer Mischung aus Skepsis und Panik reagiert: Panik, da die Vereinigten Staaten ihre sicherheitspolitischen Prioritäten endgültig in den asiatisch-pazifischen Raum verschieben und Skepsis, ob damit die seit über 60 Jahren andauernde Verantwortung der USA für die Sicherheit Europas endete. Ein flüchtiger Blick auf die Maßnahmen scheint diese Reaktionen zu bestätigen: Immerhin sollen zwei der verbliebenen vier Heereskampfbrigaden der USA aus Europa endgültig abgezogen werden. Insgesamt strebt das Pentagon die Halbierung der noch gut 80 000 in Europa befindlichen Soldaten an. Erhalten bleiben vor allem Luftwaffenstützpunkte, von denen aus amerikanische Truppen schnell in Krisenregionen außerhalb Europas, vor allem in den Nahen und Mittleren Osten, verlegt werden können.

Dabei verbirgt sich hinter diesen Plänen vor allem eine Reihe von Chancen für die deutsche und europäische Politik, die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen neu zu gestalten und an die veränderten politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen anzupassen. Grundlage hierfür ist die Einsicht, dass die sicherheitspolitischen Organisationen des euroatlantischen Raums trotz vielfältiger Krisen und Auseinandersetzungen nach wie vor ihre wichtigste Funktion erfüllen, nämlich die Sicherheit der Staaten Europas der europäischen Nachbarschaft zu gewährleisten. Da westliche Politiker seit Jahren darauf verweisen, dass Europa nur noch von Partnern umgeben und ein bewaffneter Konflikt auf dem Kontinent auf absehbare Zeit so gut wie unmöglich geworden sei, verwundert die amerikanische Truppenreduzierung nicht. Dies ist kein Zeichen mangelnden Interesses Washingtons, sondern schlicht dem sicherheitspolitischen Erfolg von Nato und Europäischer Union geschuldet.

Ebenfalls positiv aus europäischer Sicht ist, dass unter der Regierung Obama eine realistische Sicht auf die eigenen Möglichkeiten und Grenzen in der Sicherheitspolitik Einzug gehalten hat. Die beiden Kriege im Irak und in Afghanistan haben in der amerikanischen Gesellschaft eine enorme Kriegsmüdigkeit ausgelöst und die finanziellen Möglichkeiten Washingtons erschöpft. Kürzungen im Verteidigungshaushalt von 450 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren, neue regionale Prioritäten und moderatere Ambitionen sind die Folgen. Aus der Not heraus haben bescheidenere Töne die großspurigen Bekundungen abgelöst, die der internationalen Politik der USA in den vergangenen zehn Jahren viel Kritik eingebracht und sie zu einem schwierigen sicherheitspolitischen Partner Europas gemacht haben.

Die USA benötigen jetzt Deutschland und die anderen Staaten Europas stärker als je zuvor in der jüngeren Vergangenheit als sicherheitspolitischen Partner. Dieses Anliegen sollte die deutsche und europäische Politik nicht als Überforderung der eigenen Fähigkeiten zurückweisen, sondern selbstbewusst aufgreifen und sich auf ihren eigenen ordnungspolitischen Geltungsanspruch besinnen. Dies müsste nicht ausschließlich eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben bedeuten, sondern könnte auch in der Übernahme von laufenden Operationen durch die EU Ausdruck finden, zum Beispiel im Kosovo. Schließlich betonen die europäischen Staaten seit Jahren ihre Bereitschaft, auch militärisch größere Verantwortung für die Sicherheit des eigenen Kontinents und seine unmittelbare Nachbarschaft zu tragen. Die Bilanz in diesem Politikfeld ist aber nach wie vor dürftig – nicht zuletzt deshalb, weil sich die Europäer am Ende des Tages bisher immer darauf verlassen konnten, dass die USA die sicherheitspolitischen Lasten schon schultern würden. Dass Washington dies nicht länger kann und will, sollte die deutsche Politik als Chance und nicht als Krise begreifen.

Der Autor leitet die Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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