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Gastkommentar: "Lesen Sie doch erst mal dessen Quatsch!"

Es gibt ja in der jüngsten Zeit allerlei Anlässe, aus denen wir nachdenken sollten darüber, welche Maßstäbe wir eigentlich noch anlegen, wenn wir jemanden in ein wichtiges Amt berufen. Ein Uni-Präsident jedenfalls sollte akademisch qualifiziert sein.

Es gibt ja in der jüngsten Zeit allerlei Anlässe, aus denen wir nachdenken sollten darüber, welche Maßstäbe wir eigentlich noch anlegen, wenn wir jemanden in ein wichtiges Amt berufen. Manche Anlässe sind aufregender als die Wahl von Jan-Hendrik Olbertz zum neuen Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität. Aber in kaum einem anderen Fall sind die Maßstäbe derart verwässert worden wie in diesem. Und zwar auch durch die doch so kritische Presse.

Olbertz hatte in den Zeiten der DDR zwei wissenschaftliche Qualifikationsschriften, die außer vor SED-Propaganda-Kauderwelsch vor gar nichts strotzen. Kaum aufgedeckt, setzte auf breiter Front die politisch-publizistische Verharmlosungsmaschinerie ein, gerade so, als versündige man sich an der deutschen Einheit, wenn man überhaupt kritische Fragen stellt. Man habe damals – und dort – gar nicht anders gekonnt, als mit den Wölfen zu heulen. Mit Verlaub: Wenn man, zumal als westdeutsch Aufgewachsener, die Biografien der Menschen in der vormaligen DDR mit einem moralisch so niedrig eingestellten Rasenmäher nivelliert, dann erst wird man ihnen auf eine verletzende Weise ungerecht, weil man die vielen Beispiele des durchaus geübten aufrechten Ganges, auch des leicht gebeugten Ganges als Ding der praktischen Unmöglichkeit marginalisiert.

Einige Gegenbeispiel zu Jan- Hendrik Olbertz – und zwar auch ein Wissenschaftler als Kultusminister nach der Wende: Hans Joachim Meyer, der vormalige sächsische Kultusminister und spätere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hatte unter der SED-Herrschaft aus politischen Gründen einige Zurücksetzungen in Kauf nehmen müssen und sich dennoch als Wissenschaftler qualifiziert. Angela Merkel hatte sich in ihrer Zeit als Wissenschaftlerin zwar nicht als Regimegegnerin exponiert, aber doch den marxistisch-leninistischen Pflichtkult mal eben so flach gehalten, dass sie eben passieren konnte. Nein, wer auf die Entlastungsparole „Man konnte gar nicht anders“ hereinfällt oder sie selber verbreitet, wird nicht nur durch die schlichte Wirklichkeit widerlegt, sondern er erklärt Moral- und Charakterfragen zu einer Nebenwirkung der Bequemlichkeit: Wenn’s leicht fällt, lebt man aufrecht, sonst geht es halt nicht anders.

Doch das eigentliche Problem liegt noch auf einer anderen Ebene: Wer eine Führungsfunktion einnehmen will, muss sich irgendwie qualifiziert haben und als Vorbild taugen, zumindest also ein bisschen hervorragend sein. Die Arbeiten, mit denen Jan-Hendrik Olbertz sich „qualifiziert“ hat, sind aber – von ihrer politischen Kontaminierung einmal abgesehen – für das, als was er sich qualifizieren wollte, nämlich als Wissenschaftler, vollkommen wertlos; und weil sie unwissenschaftlich sind in jeder seriösen Hinsicht, geradezu disqualifizierend. Wie will man eine ähnlich lächerliche „Arbeit“ eines HU-Studenten noch abweisen, wenn der nur zu sagen braucht: „Lesen Sie doch erst mal den Quatsch unseres Präsidenten!“

Wohl war, es gibt exzellente und charakterfeste Wissenschaftler, die nie für das Amt eines Universitätspräsidenten infrage kommen. Doch auch ein Manager als Uni-Präsident muss vor den Wissenschaftlern seiner Alma Mater und seinen Studenten durch das, womit er vorankommen wollte, als Vorbild dastehen können. Dass Olbertz auch nach der Wende vorankommen wollte, will ich ihm nicht vorhalten. Aber dass man bei der Wahl des nächsten HU-Präsidenten nicht nach einem Vorbild für Lehrende und Lernende gesucht hat, ja dass man die Frage nach dem Vorbild hinterher auch noch als unangebracht und lästig abtut – das ist ein Zeichen der Zeit, das mich zutiefst beunruhigt; und zwar nicht nur in diesem Fall.

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