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Uwe Lehmann-Brauns

© Doris Spiekermann-Klaas

Gastkommentar: Rauferei im Kneipenmilieu

Der Vorgang ist in der 60-jährigen deutschen Demokratiegeschichte einmalig. Eine mit komfortabler Mehrheit gewählte Regierung zerlegt sich seit ihrer Wahl täglich. Neu daran außerdem: Sie tut es öffentlich. Der schwarz-gelbe Streit schadet dem Ansehen der Demokratie.

Ihre Mitstreiter in den Ländern richten Pfeile und Dreschflegel auf die perplexe, hilflose Regierung. Die irritierte Öffentlichkeit erlebt eine Dauerimplosion der politischen Macht. Sie schadet dem Ansehen der Demokratie.

Man weiß, diese Koalition besteht aus drei Parteien, die jeweils ihre Geschichte, ihr Profil, ihre Programmatik haben. Man weiß auch, dass in der Demokratie die Auseinandersetzung um den richtigen Weg alltäglich und typisch ist. Und auch, dass Politik schwer ist, schwerer als allgemein angenommen. Selten gibt es den Königsweg, er muss ermittelt, gebenenfalls erstritten werden, nichts geht glatt durch. Das bürgerliche und das linke Lager in der Republik sind etwa gleich stark. Das Sperrfeuer der Opposition, das Dauerlamento des Herrn Gabriel, die Demagogie anderer Parteien gehören deshalb zu Realität und Ritual dieser Demokratie.

Bislang nicht dazu gehörte die permanente Erektion in den eigenen Reihen, ein Hahnenkampf im eigenen Stall. Ob der schneidige Herr Sö. den Minister der Koalitionspartei öffentlich erledigt, der neue Herr M. dem Parteifreund und Bundesminister den Rücktritt aus dem Kabinett empfiehlt – starker Tobak. Ihren verbalen Höhepunkt findet sie vorerst in liebevollen Bezichtigungen wie „Wildsau“ oder „Gurkentruppe“.

Politik ist nichts für Sensible, was kürzlich Horst Köhler bewiesen hat. Aber die öffentliche Kraftmeierei von Muskelprotzen, deren bundesweite Ausstrahlung begrenzt ist, bleibt abstoßend, wie eine Rauferei im Kneipenmilieu. Sie verletzen den stillschweigenden Verhaltenskodex zumindest bürgerlicher Politiker. Im Plenarsaal wäre ihnen längst das Wort entzogen worden. Deshalb würde man ihnen gern den Mund verbieten, auch um die nächste Stufe der Eskalation zu vermeiden. Der Kabarettist Dieter Nuhr hat es in anderem Zusammenhang auf den Punkt gebracht mit der Formulierung: „Einfach mal die Fresse halten“.

Freude machen diese Protagonisten nur dem politischen Gegner, der ohne eigene Anstrengung, auf deren Kosten, zunehmend demoskopische Punkte sammelt. Aber mit dieser guten Nachricht hat es sich auch schon. Die Öffentlichkeit interessiert sich nicht für persönliche oder inhaltliche Animositäten von Mitstreitern untereinander. Sie sollten bis zur Ergebnisfindung in den Partei- und Koalitionsgremien ausgetragen werden. Denn die Öffentlichkeit will die Problemlösung. Sie hat die Farbe Schwarz-Gelb damit beauftragt. Scheitert diese an den Problemen, wird ihr eine andere vorgezogen werden. Dass sie an den eigenen Leuten scheitern könnte, empfindet die Öffentlichkeit zunehmend als Wählertäuschung. Galt die große Koalition nicht als verbraucht? Im Nachhinein aktiviert sich die Erinnerung an die vergangenen vier Jahre nostalgisch, verglichen mit dem zeternden Stakkato von heute.

Was muss geschehen, dass es wieder zu einem normalen Gegeneinander von Regierung und Opposition kommt anstatt von Regierung gegen Regierung, dass die abstoßenden Freiübungen der Teamkollegen unterbleiben?

Da ist zunächst die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin – im Streitfall entscheidet sie. Da ist der Koalitionsvertrag, der gilt, ohne im Einzelfall Lernfähigkeit auszuschließen. Nicht wer aus besserer Überzeugung nachgibt, verliert sein Gesicht, sondern der Raufbold, der rechthaberisch durchzieht. Von der Kanzlerin ein Machtwort zu verlangen, würde sie überfordern, weil die brachialen Ausfälle ein Problem der Kinderstube sind. Was die versäumt hat, kann sie nicht nachholen, zumal die Prügelstrafe abgeschafft ist. Verantwortlich bleiben die Kombattanten für sich, das Streitniveau, die bürgerliche Ausstrahlung – denn die nächsten Wahlen kommen bestimmt.

Der Autor ist Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses und CDU-Mitglied.

Uwe Lehmann-Brauns

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