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Gastkommentar: Sparen mit Gewinn

Die Zeit ist reif für eine europäische Armee

Griechenland praktisch pleite. Großbritanniens Haushaltsdefizit fast auf der Höhe des griechischen. Frankreichs für 2013 prognostizierter Schuldenstand beinahe so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt. Deutschland mit Rekordverschuldung. Italien, Spanien, Polen, Irland, Belgien und die Niederlande schwer angeschlagen. Defizitverfahren gegen 20 von 27 EU-Staaten. Wie kann Europa wieder auf Kurs kommen? Wo ließe sich sparen? Und dazu noch mit Gewinn für alle EU-Mitglieder?

Das European Council on Foreign Relations hat errechnet, dass ein Großteil der 200 Milliarden Euro, die die EU-Staaten jedes Jahr für ihre jeweils nationale Verteidigung ausgeben, „schlicht verschwendet“ werde – angesichts von Europas finanzieller Notlage ein unhaltbarer Zustand. So könnte die globale Finanz- und Wirtschaftskrise die Europäer zu einem Projekt bewegen, das zwar seit Jahren diskutiert, aber bislang nicht ernsthaft angegangen wird: der Aufbau einer EU-Armee.

Um gemeinsame Truppen aufstellen und damit langfristig Milliardenbeträge in Europa einsparen zu können, müssten Deutschland und Frankreich vorangehen. Denn ohne den Willen von Berlin und Paris wird es weder eine zentrale, effektive und damit kostensparenden Beschaffungspolitik für Europas Streitkräfte geben noch eine klare Vorstellung darüber, wozu eine EU-Armee dienen soll.

Der europäische Soldat würde auf Dauer nicht nur die nationalen Etats deutlich entlasten. Er könnte zugleich für mehr Sicherheit unter einem europäischen Dach sorgen – vor allem für Osteuropa. Während die USA Militärinterventionen wie in Afghanistan als neue Normalität der Nato betrachten, liegt bei den postkommunistischen Nato-Mitgliedern die Priorität auf der territorialen Verteidigung des Bündnisgebietes. Barack Obamas vorläufiger Verzicht auf ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien, seine nukleare Abrüstung und Annäherung mit Russland lassen nicht zuletzt in Warschau den Willen wachsen, die nationale Sicherheitspolitik stärker innerhalb der EU zu verankern.

Osteuropas aktuelle Stimmungslage birgt eine große Chance für Europa und Amerika: Seit Jahrzehnten wird in Brüssel und Washington darüber debattiert, wie die EU und die Nato sicherheitspolitisch besser zusammenarbeiten könnten – ohne ein überzeugendes Resultat. Und das ist auch kaum wahrscheinlich, zu unterschiedlich sind die Vorstellungen der 27 EU- und 28 Nato-Mitglieder über Sinn und Zweck einer Verteidigungsallianz im 21. Jahrhundert. Daher sollten sich EU und Nato ihre Aufgaben aufteilen: Europas Streitkräfte, die ohnehin kaum für globale Militärinterventionen gerüstet sind, sollten sich in einer EU-Armee zu einem klassischen Defensivbündnis zusammenschließen. Da weder Paris noch London ihre Nuklearraketen Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt opfern wollen, könnten Großbritanniens und Frankreichs Arsenale Europas Schutz garantieren. Derweil stünde es der Nato frei, ihre von Washington favorisierte Rolle als globale Eingreiftruppe weiter zu verfolgen, wobei die Obama-Administration zu bedenken hätte, dass auch sie für Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes immer nur auf eine „Koalition der Willigen“ wird zählen können.

Anfang April haben Frankreich und Italien den Aufbau einer gemeinsamen Gebirgsjägereinheit beschlossen. Nach dem Vorbild der deutsch-französischen Brigade soll sie ein erster Schritt auf dem Weg zu einer möglichen europäischen Armee sein. Auch Berlin, Paris und Warschau wollen in ihrem Weimarer Dreieck verteidigungspolitisch enger zusammenarbeiten. Eine „Weimar Battlegroup“ soll bis 2013 entstehen.

Weitere EU-Mitglieder sollten diesen Vorbildern folgen. Es wäre nicht das erste Mal in der europäischen Einigungsgeschichte, dass ökonomische Sachzwänge Europa politisch voranbrächten.

Der Autor arbeitet in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

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