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Meinung: Gastkommentar

Was, um Gottes Willen, mache ich noch falsch? Ich lebe seit 12 Jahren in Berlin.

Was, um Gottes Willen, mache ich noch falsch? Ich lebe seit 12 Jahren in Berlin. Meine in Wedding geborenen Kinder verhunzen munter meine Muttersprache. Sie sagen "Balcong" und "Croissang", verwechseln das "i" mit dem "ü", und wenn sie französisch sprechen, verbannen sie das Verb ans Ende der Sätze. Meine Sommerferien verbringe ich an der Nordsee. Meine Wochenenden an der Ostsee. Und ich bin sogar zum ersten Mal nach Mallorca gefahren - auf die Idee wäre ich bestimmt nie gekommen, wenn ich in Frankreich leben würde.

In dieser Kolumne schwärme ich so oft von Berlin und kritisiere so oft und hart mein eigenes Land, dass es schon an Verrat grenzt. Ich bin sogar schon so dreist, dass ich mit hoch erhobener Stimme behaupte, dass das alltägliche Leben in Paris - ja, in Paris! - unmöglich ist und dass ich mir sehr gut vorstellen könnte, bis ans Ende meiner Tage in Berlin zu bleiben. Ohne Heimweh. Fast ohne Heimweh...

Ich pilgere schon wie ein Groupie zu den Berliner Institutionen: an verregneten Sonntagen in den Grunewald, im Sommer an die Seen. Beim Marathon bin ich selbstverständlich auf der Straße, an den Tagen der offenen Tür stehe ich in der Warteschlange. Die Love Parade, der Sankt-Martins-Zug, der Weihnachtsmarkt, der autofreie Sonntag, der Ausverkauf im KaDeWe und wie das alles heißt...

Ich zahle brav meine Steuern ans Finanzamt Schöneberg, und man erleichtert mich sogar um den Solidaritätszuschlag. Seit meine Bank auf Euro umgestellt hat, trauere ich sogar ein bisschen der D-Mark hinterher. Ich habe endlich das "F" abgekratzt, das schon so lange und fast wie eine zarte Reliquie auf meinem Berliner Auto klebte. Vielleicht aber habe ich noch nicht, wie es sich Roland Koch wünscht, die deutsche Nationalhymne ganz und gar auswendig gelernt oder mich zutiefst vor der schwarz-rot-goldenen Flagge verneigt? Aber muss man wirklich so weit gehen? Nein, bestimmt nicht. Ich finde nicht, dass noch etwas fehlt. Bin ich etwa nicht die personifizierte Integration? Germanisiert von Kopf bis Fuß?

Und dennoch, ich weiß, was morgen früh passieren wird. Ich werde die Straße überqueren, um in der Schule gegenüber zu wählen. Stolz wie eine engagierte Bürgerin, über denjenigen entscheiden zu können, der MEINE Wahlheimat regieren wird. Aber wenn der Wahlhelfer in meinem französischen Pass geblättert hat, wird er mir einen Wahlzettel nach dem anderen wieder aus der Hand reißen. Wie alle Ausländer, die ihr Leben hier bestreiten, habe ich nicht das Recht, den Berliner Senat zu wählen. Einziger Trost: Ich kann die Bezirksabgeordneten in Schöneberg wählen. Na toll! Wie alle ausländischen Berliner wird mich am morgigen Sonntag das seltsame Gefühl beschleichen, nirgendwo wirklich zu Hause zu sein.

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