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Gedenken an Nine-Eleven: War da mal was?

Am sechsten Jahrestag zu Nine-Eleven machen sich Gedenkermüdungs- Erscheinungen breit - sogar bei den Amerikanern, beschleunigt durch US-Präsident Bush. Aber auch wenn der Irakkrieg wahrscheinlich ein Fehler war, ist der Kampf gegen den Terrorismus keiner, denn er ist zugleich ein Kampf um Freiheit.

War da mal was? Sechs Jahre später prallt die Antwort an einer betondicken Gefühlswand ab. Der Kopf findet den Weg zum Herzen nicht mehr. Das Ende der Empathie ist erreicht. Das ZDF befasst sich lustvoll mit diversen Verschwörungstheorien zu Nine-Eleven, der "Spiegel" hält die Erinnerung an den 30 Jahre zurückliegenden und überwundenen Terror deutscher Verwirrter für relevanter als die Beschäftigung mit dem akuten radikalen Islamismus, die Diskussion über den Afghanistankrieg verengt sich auf die Frage, ob Bundeswehrsoldaten ihr Leben riskieren sollen, damit afghanische Mädchen endlich Algebra lernen dürfen. Osama bin Laden und Al Qaida scheinen als Bedrohung entrückt, die Anschläge vom 11. September 2001 eine Art kurze, heftige Eruption gewesen zu sein, ein zwar menschengemachter, doch einmaliger Tsunami, an dem man zurückdenkt wie an eine Naturkatastrophe.

Doch halt: Vielleicht ist es gar nicht das Ende der Empathie, weil es nie einen Anfang gab. Bereits die ersten Kundgebungen nach den Terroranschlägen waren ja nicht als Solidaritätsbezeugungen gemeint, sondern als Appelle an die USA, nun bloß nicht durchzudrehen. Der Afghanistankrieg wurde denn auch nicht als Einstieg in den Ausstieg aus der Terrorgefahr begriffen, sondern als exzeptionelles Zugeständnis an die verwundete Supermacht, ihr Rachebedürfnis zu befriedigen. Wenn es hieß, dieser Kampf werde Jahrzehnte dauern, Opfer kosten, die Geduld strapazieren, Nervenstärke und Entschlossenheit verlangen, wurde beflissen genickt, aber insgeheim gedacht: Na, so schlimm wird’s schon nicht.

Zu Nine-Eleven scheint alles gesagt zu sein

Beschleunigt wurde die emotionale Entfremdung vom Terror freilich auch durch George W. Bush. Für alles und jedes berief er sich, pathetisch überhöht, auf die knapp 3000 Toten – für den Irakkrieg, den Patriot Act, Guantanamo. Deshalb weisen inzwischen auch viele Amerikaner Gedenk-Ermüdungserscheinungen auf. Der Petraeus-Bericht und die Lage im Irak inspiriert die Kommentatoren, zu Nine-Eleven scheint alles gesagt zu sein. Ist es vielleicht auch. Doch zu Pearl Harbor, der Landung in der Normandie oder der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz ist ebenfalls alles gesagt – und dennoch gehören angemessene Gedenkrituale fest zu den entsprechenden Jahrestagen. Das "Nie wieder", das aus ihnen abgeleitet wird, begründet einen gesellschaftlichen Konsens, der nach Nine-Eleven offenbar immer brüchiger geworden ist.

Wahrscheinlich war der Irakkrieg ein Fehler im Kampf gegen den Terrorismus. Aber ist deshalb der Kampf gegen den Terrorismus falsch? Natürlich nicht. Und zu diesem Kampf gehört, dass der Irakkrieg nicht verloren werden darf, weil das die beste Reklame für Al Qaida wäre. Zu diesem Kampf gehört auch, dass der Afghanistankrieg aus demselben Grund nicht verloren werden darf. Unsere Schwäche ist ihre Stärke. Der militante Islamismus lebt nicht aus einer positiven Ideologie, sondern aus einem suizidalem Nihilismus. Klammheimlich wünschen sich viele Europäer, die US-Truppen mögen sich im Irak geschlagen geben, als Zeichen, dass die arrogante Supermacht einen Dämpfer erhält. Wie absurd und wie kursichtig zugleich: Der Hass auf Bush ist stärker geworden als der Wille, die Terroristen nicht triumphieren zu lassen!

War da mal was? Ja, da war mal was. "Der Mensch, der nichts hat, für das er zu kämpfen bereit ist, nichts, das ihm wichtiger ist als seine persönliche Sicherheit, ist eine erbärmliche Kreatur und hat keine Chance frei zu sein, es sei denn, er wird dazu gezwungen von Menschen, die besser sind als er selbst." Das Zitat stammt vom britischen Philosophen John Stuart Mill. Es sollte an jedem Jahrestag des 11. Septembers 2001 öffentlich verlesen werden – in den USA wie in Europa.

Ein Kommentar von Malte Lehming

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