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Meinung: Gefährliches Haustier

Die Früherkennung von Prostatakrebs braucht neue Methoden

Alexander S. Kekulé Theoretisch bekommt jeder Mann eines Tages Prostatakrebs – falls er lange genug lebt. Von Obduktionen ist bekannt, dass bis zu 80 Prozent der Siebzigjährigen ein mehr oder minder großes Krebsgeschwulst in der Vorsteherdrüse haben, ohne es zu bemerken. Weil es den meisten Männern weder Beschwerden hervorruft, noch ihr Leben beendet, nannte der Medizinkritiker Julius Hackethal das Prostatakarzinom einen „Haustierkrebs“.

Doch manchmal wird das Haustier zur Bestie. Dann dehnt sich das Karzinom ungehemmt im Beckenraum aus, wächst in die Blase und den Dickdarm. Metastasen siedeln sich in Knochen, Lunge und Leber an. Schmerzen, blutigen Urin und andere Beschwerden bekommt der Patient erst, wenn es zu spät ist – das Prostatakarzinom ist der häufigste Tumor des Mannes, allein in Deutschland fordert es 12 000 Todesopfer jährlich. Die meisten von ihnen könnten durch Früherkennung gerettet werden, weil kleine Karzinome gut entfernbar sind und noch keine Metastasen bilden.

Deshalb sollen sich Männer ab 50 alljährlich die Abtastung der Prostata vom Darm aus, die „digitale rektale Untersuchung“ gefallen lassen. Zusätzlich wird die Ultraschalluntersuchung mittels Darmsonde empfohlen, eine auf der männlichen Beliebtheitsskala noch tiefer stehende Prozedur.

Doch zum Glück gibt es auch eine Methode zur Früherkennung, bei welcher der Arzt nicht so eindringlich die Distanz unterschreiten muss: Die Bestimmung des „Prostataspezifischen Antigens“ (PSA), ein einfacher Bluttest. Insbesondere in nichturologischen Praxen erfreut sich das alleinige PSA-Screening zur Früherkennung des Prostatakarzinoms großer Beliebtheit. PSA-Werte über vier Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Milliliter (ng/mL) gelten als Alarmzeichen: Die Patienten werden zum Urologen einbestellt, der mit einer Hohlnadel mindestens sechs Gewebeproben aus der Prostata entnimmt. Findet sich darin kein Karzinom, werden die Stanzbiopsien ein halbes Jahr später wiederholt.

Kritiker mahnen, dass dieses Vorgehen nach den Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft vollkommen gesunde Männer zu Patienten macht: Bei mäßig erhöhten PSA-Werten zwischen vier und zehn ng/ml finden sich nur in etwa 25 Prozent Prostatakarzinome, drei Viertel der Männer werden vergebens biopsiert. Zudem verursachen insbesondere bei älteren Männern die meisten der so entdeckten Karzinome zu Lebzeiten keinerlei Beschwerden. Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma zeigt jetzt die Untersuchung einer Arbeitsgruppe vom „Johns Hopkins Hospital“ in Baltimore. Die Beobachtung von 980 Männern über einen Zeitraum von knapp vier Jahrzehnten ergab, dass die Anstieggeschwindigkeit des PSA („PSA-Velocity“) deutlich bessere Vorhersagen erlaubt als der absolute Wert. Männer mit einem jährlichen PSA-Anstieg von über 0,35 ng/ml haben demnach ein Risiko von rund 50 Prozent, an einem Prostatakarzinom zu sterben – die Methode filtert diejenigen Fälle heraus, in denen das Prostatakarzinom schnell wächst und eines Tages gefährlich wird.

Ob die neue Methode letztlich Leben retten und Biopsien vermeiden kann, muss erst in groß angelegten Studien bewiesen werden. Zwei dieser Studien laufen bereits, mit den Ergebnissen ist jedoch nicht vor 2008 zu rechnen. Bis dahin gibt es für den Nutzen des PSA-Screenings keinen wissenschaftlichen Beweis.

Aus heutiger Sicht gibt es jedoch kaum Zweifel, dass die PSA-Velocity, unter Verwendung altersspezifischer Grenzwerte, dem bisherigen statischen Verfahren überlegen ist. Deshalb macht es Sinn, die PSA-Werte bereits in jüngeren Jahren, etwa ab Vierzig, zu bestimmen: Wer seinen individuellen Ausgangswert kennt, kann bei einem späteren PSA-Anstieg besser einschätzen, ob in ihm ein Haustier oder eine Bestie schlummert.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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