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Meinung: Gemessen an seiner Moral

Enron, Irak-Pleite und nun die Agenten-Affäre: Bushs Glaubwürdigkeit schwindet

Skandale sind kein Zufall. Sie folgen einem Gesetz. Es ist das Gesetz der Gerechtigkeit. Denn jeder bekommt den Skandal, den er verdient. Wer sich seiner Akkuratesse rühmt, wird bei einer Schlamperei ertappt (Briefmarken-, Miles & More- oder Dienstwagen-Affäre). Wer Keuschheit predigt, wird wegen Unzucht überführt (katholische Kirche). Wer seine Vergangenheit verdrängt, den holt sie ein (Filbinger, Waldheim). Die Öffentlichkeit duldet weder Helden noch Moralisten. Gnadenlos nivelliert sie das Herausragende. Wer sich selbst erhöht, wird von ihr erniedrigt.

Als George W. Bush sein Amt als Präsident der USA antrat, trug er das Banner des Anstands ostentativ vor sich her. Mit ihm würden „honor and integrity“, Ehre und Rechtschaffenheit, wieder ins Weiße Haus einziehen, versprach er. Aufrecht, ehrlich und sittsam wolle er sein. Ganz anders also als sein Vorgänger. Die Politik Bill Clintons konnten seine Widersacher nur schwer attackieren. Die Wirtschaft brummte, im Staatshaushalt türmten sich die Überschüsse. Deshalb konzentrierten sie sich auf dessen Charakter. Clinton sei lasterhaft und intrigant, behaupteten sie und inszenierten eine Kampagne nach der anderen, um das zu belegen. Bush wiederum, der Christ und Abstinenzler, wurde als moralischer Kontrast aufgebaut. Die Demokraten sind verkommen, die Republikaner anständig: Mit dieser Botschaft – und einer kleinen Hilfe vom Obersten Gericht – wurde die letzte Wahl entschieden.

Das rächt sich nun. Immer mehr Amerikaner sind enttäuscht vom Präsidenten, immer mehr Amerikaner fühlen sich getäuscht von ihm. Die Skandalserie fing mit der Pleite des texanischen Energie-Giganten Enron an, setzte sich fort durch offenkundige Bevorzugungen einzelner Unternehmen, Stichwort Halliburton, und findet gerade ihren vorläufigen Höhepunkt in der „Agenten-Affäre“. Haben enge Mitarbeiter von Bush gezielte Indiskretionen über die Frau eines ehemaligen Botschafters verbreitet? Im Auftrag des Justizministeriums ermittelt die Bundespolizei FBI im Weißen Haus. Der Verrat von Geheiminformationen, die Frau des Botschafters ist eine CIA-Agentin, wird in Amerika streng bestraft.

Noch sind die Fakten nicht geklärt. Die Vorwürfe werden vehement bestritten. Bush selbst hat seine Mitarbeiter zur vollen Kooperation mit dem FBI aufgerufen. Aber unabhängig von ihrem Ausgang hat ihm die Affäre bereits geschadet. Ob wahr oder falsch: Sie passt zu gut ins Bild. Sie bestätigt die allgemeine Wahrnehmung: Im Weißen Haus sitzt eine Regierung, die der Öl- und Rüstungsindustrie gefällig ist, die die Wahrheit manipuliert, um Kriege zu führen, und die ihre Gegner skrupellos verfolgt: An diesem Image, das zunächst nur von linken Demokraten genährt wurde, basteln inzwischen auch viele moderate Kräfte und einige Massenmedien. Der Lack ist ab. Ihren Moralbonus, mit dem diese Administration gestartet war, hat sie restlos aufgebraucht.

Am heutigen Donnerstag tritt David Kay im US-Kongress auf. Kay leitet das Heer von Inspekteuren, die seit Monaten im Irak nach Massenvernichtungswaffen suchen. Die Abgeordneten werden von ihm wissen wollen, warum diese Waffen bislang nicht gefunden wurden. Als Erklärung wird ihnen Kay folgende These anbieten: Saddam Hussein hat geblufft. Er hat nur so getan, als hätte er ABC-Waffen. Die USA sind darauf hereingefallen. Wer’s glaubt, wird selig, sagt der Volksmund zu solchen Theorien. So reiht sich Abstruses an Absurdes an Skandalöses. Und Bush rotiert hilflos in diesem Strudel. Nach dem 11. September hatte ihn Amerikas Öffentlichkeit lange geschont. Doch die Schonzeit ist vorbei. Jetzt wird der Charakter des Präsidenten ebenso erbarmungslos geprüft wie der seines Vorgängers.

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