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Gene: Die unbekannte Sprache

Nur wenn wir das Genom verstehen, werden wir Krankheiten wie Alzheimer besiegen. Das Wissen des Encode-Projekts wird dabei helfen

Präsident Bill Clinton schlug einen hohen Ton an. „Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben erschaffen hat“, sagte er, als ihm Wissenschaftler am 26. Juni 2000 eine Rohfassung des entzifferten menschlichen Erbguts überreichten. Rund drei Milliarden biochemische Buchstaben, verfasst in der DNS-Sprache, umfasst unser Genom, dazu gut 20.000 Erbanlagen. Das Rätsel Mensch war fast gelöst, so schien es jedenfalls.

Was folgte, war Ernüchterung. Immer mehr schälte sich heraus, dass es mit den 20.000 Genen nicht getan war, wenn es etwa um die Suche nach Krankheitsursachen ging, dass es noch viel mehr herauszufinden und zu erforschen galt. Zum Beispiel jene 98 Prozent des Genoms, auf denen keine Bauanleitungen für Gene notiert sind. Mit dieser vermeintlich „dunklen Materie“ des Erbguts haben sich die Wissenschaftler des internationalen „Encode“-Programms befasst. Ihre jetzt veröffentlichten Ergebnisse sind sensationell.

Der vermeintliche Ballast im Genom entpuppt sich als „Betriebssystem“ der Erbinformation. Millionen von DNS-Schaltern steuern, auf 80 Prozent des Erbguts verteilt, die Gene und lenken die Geschicke der Zelle. Und das in jeder einzelnen unserer (mindestens) zehn Billionen Körperzellen. Es sind Zahlen, die das Vorstellungsvermögen bei Weitem übersteigen.

Ganz offensichtlich ist Genomisch eine komplizierte Sprache, zu dessen Erlernen wir auch zwölf Jahre nach Clintons Prophezeiung noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen werden. Noch lallen wir allenfalls.

Die Vorstellung, dass die Kenntnis der humanen Gene schon fast ausreicht, um einen synthetischen Homo sapiens, einen allseits gefürchteten Designer-Menschen zu erschaffen, war immer überzogen und gehört ins Reich der Science-Fiction. Aber dass sie so weit weg von der hyperkomplexen Wirklichkeit sein würde, hat wohl kaum einer geahnt. Dabei markiert „Encode“ kaum mehr als den Anfang. Es wird noch viel schwieriger.

Längst ist eine neue Generation von Wissenschaftlern im Genom unterwegs. Statt wie in früheren Zeiten mit der Pipette in der Hand die zähe DNS-Masse aus den Zellen zu extrahieren, operiert sie im Wesentlichen am Computer. Das Sequenzieren des Genoms ist längst Roboterarbeit. Große, miteinander vernetzte Rechner kanalisieren die riesigen Datenströme aus den Sequenzierautomaten und fügen sie in das Gesamtbild ein. Der Erbgutforscher von heute ist permanent online, wie seine (übrigens frei zugänglichen) Resultate.

Wissenschaftler werden meist von Neugier getrieben. Den gesellschaftlichen Nutzwert ihrer Arbeit haben sie eher nicht im Auge. Auch bei der Genomforschung ist der handfeste Nutzen bisher gering. Aber klar ist ebenso, dass medizinisch kaum oder nicht bewältigte Herausforderungen wie Krebs und Alzheimer sich nur bewältigen lassen, wenn man versteht, was bei diesen Krankheiten auf der Ebene der Zellen geschieht. Erst dann werden wir sie besiegen können. Das Wissen des Encode-Projekts wird dabei helfen.

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