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Genozid in Ruanda: Der schweigende Minister

Trägt Frankreich Mitschuld am Genozid in Ruanda? Bernard Kouchner müsste es wissen

Von Caroline Fetscher

Politisch, militärisch, diplomatisch und logistisch habe das postkoloniale Frankreich die Aggressoren beim Genozid in Ruanda 1994 unterstützt, erklärt Ruandas Regierung. Einen Report legt sie vor, um das zu belegen, hochrangige Vertreter Frankreichs nennt er mit Namen. Französische Soldaten sollen die mörderischen Interahamwe-Milizen der Hutu sogar trainiert haben. Neu sind die Vorwürfe nicht, nur stringenter gebündelt – und in Hinsicht auf eine Klage gegen Frankreich verfasst. Dessen Regierung wehrt die Vorwürfe offiziell ab, was Außenminister Bernard Kouchner unruhigen Schlaf bescheren könnte.

1994 war der Minister in anderer Funktion weltweit unterwegs: Als Vertreter der von ihm mitgegründeten Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen.“ In Ruanda stießen diese Ärzte, die sich auch als Zeitzeugen verstehen, an ihre Grenzen. Sie mussten sich tarnen, sie verloren hundert Mitstreiter, sie wurden des Landes verwiesen. Zum ersten Mal forderte „Ärzte ohne Grenzen“ humanitäre, militärische Intervention.

Zeithistorisch betrachtet geschahen sie nicht gestern, sondern gerade eben, die kriegerischen Konflikte am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. In Ruanda wütete die Bevölkerungsgruppe der Hutu gegen die der Tutsi, 800 000 Menschen starben. Bei den Bürgerkriegen im Kongo verloren mehr als fünf Millionen Menschen ihr Leben, in Liberia 250 000, die Zerfallskriege Jugoslawiens kosteten mindestens 200 000, Russlands Tschetschenienkriege an die 100 000 Menschenleben.

Doch zur selben Zeit war der Eiserne Vorhang gefallen, das Grauen in Regionen wie Zentralafrika evozierte vor allem weltweites Wegsehen. Eliten und Intellektuelle in West und Ost waren meist mit sich und miteinander beschäftigt. „Unter unseren Augen hat sich ein Genozid abgespielt und wir haben nichts getan“, hatte Minister Kouchner Ende 2007 in einem Interview erklärt, ein halbes Jahr nach Amtsantritt. Die halbe Wahrheit.

Wer den Konflikt bewusster verfolgte, konnte hören, dass Frankreich keineswegs „nichts getan“ hatte, sondern, wie fast überall im frankofonen Afrika Praxis, mitgemischt hatte – jedoch keinesfalls im Sinn der Menschenrechtler. Zwischen „nichts getan“ und „das Falsche getan“ klafft ein semantischer Sprung. Wie die global aktiven Ärzte damals an ihre Grenzen stießen, so scheint Minister Kouchner jetzt an seine zu stoßen – es sei denn, er riskiert ein Aufbegehren gegen die Raison d’état im Kabinett der Regierung Sarkozy. Beide Staaten jonglieren jetzt mit der Wahrheit – und spielen mit den Emotionen der Opfer.

Frankreich will allenfalls unschuldig-schuldig sein („nichts getan“), für Ruandas Präsident Paul Kagame wäre ein Schuldiger draußen („die haben uns aufgehetzt“) ein Geschenk; bekanntlich eint es zerstrittene Gruppen, wenn sie gemeinsame Feinde finden. In beiden Staaten kann sinnvolle Aufarbeitung jedoch nur entstehen, wenn sich beide jeweils ihrem Anteil in Verantwortung stellen.

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