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Genscher mit Michail Chodorkowski am Flughafen Schönefeld.

© Reuters

Chodorkowskis Freilassung: Genschers Coup: So tun, als sei nichts

Nach außen so zu tun, als sei nichts, und hinter den Kulissen Steine aus dem Weg räumen, das ist Diplomatie. Hans-Dietrich Genschers Coup um die Freilassung von Michail Chodorkowski hat zweifellos den deutsch-russischen Beziehungen genutzt. Vielleicht ist es nicht der letzte.

Das alles war typisch Genscher. Typisch Genscher war das Auftauchen aus dem Nichts, die Präsentation der Überraschung, und natürlich war es eine gute Nachricht, die er hatte. Wie an jenem 30. September 1989, als er im Abenddunkel auf den Balkon der deutschen Botschaft in Prag trat, und den Tausenden von DDR-Flüchtlingen die ersehnte Botschaft überbrachte, die mit den Worten begann: „Meine lieben Landsleute …“. Diesmal ging es nur um die Freiheit eines Einzelnen, aber auch diese Botschaft war eine Erlösung: Michail Chodorkowski kommt nach mehr als zehnjähriger Lagerhaft frei, kommt frei auf Vermittlung von Hans-Dietrich Genscher.

Noch wenige Tage zuvor hatte es so ausgesehen, als könne Chodorkowski, der Mann, der vor zehn Jahren den mächtigen Putin politisch herausfordern wollte und dafür bitter büßen musste, nicht mit einer Entlassung aus der Haft rechnen. Und auch in der deutschen Politik galt business as usual. Der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier geißelte bei seiner Amtsübernahme mit direkten Worten die russische Erpressungspolitik gegenüber der Ukraine.

Die Kanzlerin war eingeweiht, sagt Genscher

Und dann das. Zweimal hatte sich Genscher mit Putin getroffen und über die Causa Chodorkowski gesprochen. Und natürlich, sagt er nun, war die Kanzlerin eingeweiht. Und der Außenminister. Und der deutsche Botschafter in Moskau.

Nach außen so zu tun, als sei nichts, und hinter den Kulissen Steine aus dem Weg räumen, das ist Diplomatie. Und keiner ist dafür besser geeignet als die elder statesmen, die früheren Großen der Weltpolitik. Sie können Kontaktwege gehen, die der offiziellen Politik schon alleine deshalb versperrt sind, weil die nicht so diskret auf ihnen wandeln kann. Inoffizielle Kontakte aber, etwa eines Jimmy Carter oder Bill Clinton in Nordkorea, andere im Iran, oder jetzt eines Hans-Dietrich Genscher in Russland können immer als absolut unverbindliche Gesprächsebene dargestellt werden, auf der es jeden Meinungsaustausch, aber niemals ein Scheitern geben kann, weil dem Vorgang ja jeder offizielle Anstrich fehlt. Und wo nichts scheitern kann, kann sich auch niemand blamieren. Dass bei alledem die diplomatischen Dienste im Hintergrund hilfreich sind, ist ohnedies klar.

Genscher gilt als extrem verschwiegen und vertrauenswürdig

Genscher war und ist für diese Aufgabe besser vorbereitet als irgendein anderer. Der Mann, von dem ironisierend gesagt wurde, er sei in seiner aktiven Zeit so viel gereist, dass er sich selbst hätte in der Luft begegnen können, gilt als extrem verschwiegen und vertrauenswürdig. Sein innerparteilicher Einfluss ist wohl stärker zurückgegangen, als er selbst geglaubt hat. Jeder der potenziellen oder tatsächlichen Spitzenleute der FDP konnte sich von ihm mal gestärkt, mal brüskiert fühlen. Das kann auch daran liegen, dass selbst strategisch denkende Menschen wie Genscher gelegentlich über die eigene Taktik stolpern. Auf der anderen Seite ist nicht klar, ob sich die FDP mit einem anderen an der Spitze hätte glaubwürdiger präsentieren können.

An einem aber ist kein Zweifel: Dass Genschers Coup den deutsch-russischen Beziehungen nutzt. Vielleicht ist es nicht der letzte. Die Deutschen als ehrliche Makler in Konfliktsituationen – das ist genau die Rolle, in die das Land ja hineinwachsen sollte. Das muss nicht immer so klandestin geschehen wie jetzt – aber dass die deutsche Diplomatie in Zweifelsfällen auf Menschen wie Genscher setzen kann, hat etwas Beruhigendes.

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