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Im Auge des Betrachters finden sich die Urteile über ihn.

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Gesetze gegen Cybermobbing: Offline ruht der See

Cybermobbing ist die Geißel einer unbeschwerten Netzjugend. Vermutlich fordert sie Todesopfer. Bei Suiziden Jugendlicher führen häufig Spuren ins Internet. Doch neue Gesetze dagegen brauchen wir nicht.

Wenn sie nichts haben, Bedenken haben sie immer, machte sich der Jurist Kurt Tucholsky über Juristen lustig. Heute muss es eine Nummer größer sein, heute heißt es Besorgnis. So nehmen die Justizminister der Länder laut Konferenzbeschluss von der vergangenen Woche „mit Besorgnis zur Kenntnis, dass die Zahl von Diffamierungen im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken, in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen ist“. Nun sei zu prüfen, ob die Gesetze ausreichten oder ein neues her muss.

Die Besorgnis darf man teilen. Cybermobbing ist die Geißel einer unbeschwerten Netzjugend. Vermutlich fordert sie Todesopfer. Bei Suiziden Jugendlicher führen häufig Spuren ins Internet. Die Justizpolitiker zweifeln, ob das geltende Strafrecht, etwa der Beleidigungs- oder der Stalkingparagraf, die Täter noch abschrecken kann. Deshalb liebäugeln sie mit einem neuen Tatbestand.

Für einen Menschen mit einem Hammer sieht jedes Problem wie ein Nagel aus. Daher ist es kein Wunder, wenn Justizpolitiker neue Gesetze als Lösung sehen. Doch so einfach liegen die Dinge selten, zumal hier nicht, bei der heutigen Jugend, die respektlos ist und schlechte Manieren hat, wie schon Sokrates erkannt haben soll. Natürlich gibt es immer mehr Cybermobbing. Alles, was es im Internet gibt, wird seit Jahren immer mehr. Auch alles Unschöne. Die Meute, die sich da austobt, lässt sich von keinem Gesetz abhalten. Nur: Was hat das mit dem Internet zu tun? Jungen Leuten war es schon immer egal, dass etwa eine Beleidigung strafbar ist. Benimm lässt sich nicht mit Strafnormen herbeiorganisieren.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerin Uta-Maria Kuder gab sich über Umfragen schockiert, wonach sich fast so viele, wie gemobbt werden, auch vorstellen können, selbst zu mobben. Man hat es folglich weniger mit Kriminalität zu tun als mit einem Phänomen der Jugendkultur. Bedenkt man noch, dass Menschen hierzulande erst mit 14 Jahren strafmündig sind, sie also vorher eine Art Wild Card für illegale Spielchen besitzen, wird endgültig fraglich, wen ein Anti-Cybermobbing-Gesetz treffen soll. Die Ultima Ratio des Staates, das Strafrecht, würde zum Schrecken der Pubertät.

Cybermobbing wiegt schwerer als eine klassische Beleidigung, sagt Frau Kuder, weil im Netz alle miterleben, wie beleidigt wird. Der Befund mag richtig sein, nur ist es auch der Schluss daraus? Die Cyber-Beleidigung kann ohne ihr Opfer stattfinden, die klassische nicht. Für Betroffene einer virtuellen Attacke auf die Ehre gibt es einen Abschaltknopf. Im echten Leben fehlt der. Wenn soziale Netzwerke zu Drangsalierungsmaschinen umgenutzt werden, sind die Betreiber in der Pflicht. Der Rest gehört in den Bereich Erziehung: Wenn online der Shitstorm tost, ruht offline still der See.

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