zum Hauptinhalt

Getötete deutsche Geisel: Das Leben ist eine Strapaze

Die in Afghanistan getötete deutsche Geisel wurde nicht ermordet, sondern war den Strapazen der Entführung erlegen, ist sich Außenminister Steinmeier sicher. Dasselbe ließe sich auch über KZ-Häftlinge sagen, denen man Totenscheine über Kreislaufversagen ausstellte.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verbringt einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit damit, zusammen mit dem Krisenstab im Auswärtigen Amt die Freilassung von deutschen Bürgern zu managen, die als Geiseln genommen wurden. Da war die Archäologin, die im Irak unter bis heute ungeklärten Umstand gekidnappt wurde; dann die beiden Ingenieure aus Sachsen, die nach 99 Tagen in der Gewalt ihrer Entführer freigelassen wurden, der ehemalige Diplomat, der seinen Urlaub im Jemen unfreiwillig verlängern musste, eine deutsche Hausfrau, die seit 4o Jahren im Irak lebt, einen Iraker geheiratet und einen irakischen Pass hat, die nach ihrer Entführung aber nicht die irakische, sondern die deutsche Regierung um Hilfe bat.

Zwischen den Entführungen gibt der immer wieder tief erschütterte Außenminister Erklärungen ab; die Regierung der Bundesrepublik, versichert er, werde alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die Geiseln heim zu bringen, sie lasse sich aber weder erpressen noch zu Zugeständnissen zwingen. So weit, so gut. Wenn es darum geht, Menschenleben zu retten, darf ein wenig  geschwindelt und geflunkert werden. Deswegen wird bei solchen Gelegenheiten auch routinemäßig die Frage gestellt, ob "kriminelle Elemente" oder "Aufständische" für die Entführungen verantwortlich seien. Den einen ginge es nur um Geld, die anderen würden politische Ziele verfolgen.

Mord ist nach deutschem Recht "grausam" und "heimtückisch"

So wird auch in größter Not sauber "differenziert", wobei ungesagt bleibt, wie der Unterschied bei der Berechnung des Lösegeldes zu Buche schlägt. Jetzt ist der Außenminister noch einen großen Schritt weiter gegangen. Zu dem plötzlichen Ableben einer deutschen Geisel in Afghanistan sagte er am Samstag: "Wir müssen davon ausgehen, dass einer der entführten Deutschen in der Geiselhaft verstorben ist. Nichts deutet darauf hin, dass er ermordet wurde, alles weist darauf hin, dass er den Strapazen erlegen ist, die ihm seine Entführer auferlegt haben."

Der 44 Jahre alte Mann aus Mecklenburg-Vorpommern, der lieber in  Afghanistan arbeiten als daheim von Hartz 4 leben wollte, ist sozusagen eines natürlichen Todes gestorben. Vielleicht hatte er was mit dem Herzen, war unsportlich und übergewichtig oder hat das Klima nicht vertragen - tagsüber extreme Hitze, nachts klirrende Kälte. Da kann man schon mal kollabieren und den Geist aufgeben, wenn man aus einem Land am Rande des Golfstroms kommt. Von einem "Mord" zu sprechen, wäre vollkommen unangemessen, denn nach deutschem Recht zeichnet sich ein Mord dadurch aus, dass er "grausam" und "heimtückisch" sein und aus "niederen Beweggründen" begangen werden muss.

Man kann den Entführern vieles nachsagen, nur keine "niederen Beweggründe", denn sie haben keine Geldforderungen gestellt. Sie verlangten nur, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen wird.  Woher kommen dann aber die "Schussverletzungen im Brustbereich", von denen bald darauf berichtet wurde? Haben die Entführer auf die tote Geisel geschossen, aus Wut darüber, dass sie zu früh gestorben war?  Das ist unmöglich, denn so etwas machen Moslems nicht, es sei denn, es handelt sich um Amerikaner, die erst gelyncht, dann verbrannt und durch die Stadt geschleift und schließlich an Brückenpfeilern aufgehängt werden.

In 100 Prozent aller Fälle endet das Leben tödlich

Es wird die Familie des toten Deutschen sicher trösten, dass der Mann nicht ermordet wurde. Die Frage, ob er noch leben könnte, wenn er nicht entführt und einigen "Strapazen" ausgesetzt worden wäre, werden sie sich im Interesse der deutsch-afghanischen Zusammenarbeit und dem Wohlergehen künftiger Geiseln zuliebe besser verkneifen. Außenminister Steinmeier selbst eilte nach der Pressekonferenz zur Lage in Afghanistan nach Flossenbürg, wo er an einer Feier zur Eröffnung der Gedenkstätte des ehemaligen KZ teilnahm. Er nannte das Lager einen "Ort der Schande".

Auch in diesem Falle muss "differenziert" werden. Im KZ Flossenbürg sollen etwa 3o.ooo Häftlinge ums Leben gekommen sein. Nichts deutet darauf hin, dass sie ermordet wurden, alles weist darauf hin, dass sie den Strapazen erlegen sind, die ihnen auferlegt wurden, zum Beispiel bei der Arbeit im Steinbruch oder weil sie nicht genug zu essen bekamen. Das belegen auch die Todesscheine, die in Flossenbürg, wie in anderen KZs, ausgestellt wurden. Die beliebteste Todesursache war: Herz- und Kreislaufversagen. Einige Tote hatten auch ein Loch im Kopf oder Würgespuren am Hals, aber die waren ihnen bestimmt erst nach dem natürlichen Ableben appliziert worden.

Außerdem darf nicht vergessen werden: In 1oo Prozent aller Fälle endet das Leben tödlich. Mal früher, mal später. Aber eine Strapaze ist es in jedem Fall.    

Ein Kommentar von Henryk M. Broder

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false