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Meinung: Gibt China bald der Welt die Spielregeln vor?

„Liu Xiaobo ist unser Nachbar / Ein Teil der Welt knickt vor China ein - statt in Oslo ein Zeichen zu setzen“ von Caroline Fetscher vom 8. Dezember China interessieren die Menschenrechte nicht.

„Liu Xiaobo ist unser Nachbar / Ein Teil der Welt knickt vor China ein - statt in Oslo ein Zeichen zu setzen“ von Caroline Fetscher vom 8. Dezember

China interessieren die Menschenrechte nicht. China übt Druck auf Staaten aus, die an der Ehrung des chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis teilnehmen, und immerhin 18 knicken ein.

Früher wurde China von den Deutschen nur als riesiger Absatzmarkt wahrgenommen – heute werden die Unternehmen dort immer stärker und das Land bestimmt längst, wo der Hase wirtschaftlich hinläuft in der Welt.

China hortet Milliarden US-Dollar, China rationiert seltene Erden, die für die Industrie wichtig sind, China hat sich in den letzten Jahren weltweit den Zugriff auf Rohstoffe aller Art gesichert, China holt technologisch immer weiter auf. Müssen wir uns da wirklich keine Sorgen um unsere Zukunft machen? Noch ist Deutschland ein reiches Land, aber wie lange noch? China ist meiner Meinung nach kaum noch aufzuhalten - und Rücksicht auf andere wird der Riese nicht nehmen.

Heinz Barthel,

Berlin-Steglitz

Sehr geehrter Herr Barthel,

wer gerne die Stirn in Sorgenfalten legt, hat in Chinas Aufstieg sein Leib- und Magenthema gefunden. Das ist auch ganz verständlich: Chinas Aufstieg beeindruckt gerade in quantitativer Hinsicht, auch wenn wir gerne die gewaltigen Probleme, die das Land unbezweifelbar auch hat, übersehen. Tatsache ist auch, dass Chinas Eliten immer selbstbewusster auftreten und uns mit ihrem freundlichen Lächeln erschrecken, wenn sie uns gleichzeitig knochenhart zeigen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen der Westen die Spielregeln der Weltpolitik diktierte. So gemein kann Geschichte sein! Bei allen Bedenken, die gerade Chinas Aufstieg gerne auslöst, sollten wir aber nicht vergessen, dass wir uns vor gerade mal dreißig Jahren über Japan dieselben Sorgen gemacht haben. Und wer sich noch an die späten fünfziger Jahre erinnert, wird wissen, dass wir ähnliche Ängste einmal vor dem schnellen Aufstieg kommunistischer Länder und ihrem rasanten schwerindustriellen Wachstum und erst recht vor dem Sputnikschock hatten. All diese Sorgen sind verflogen und kommen uns heute zum Teil sogar ausgesprochen lächerlich vor. Ob mit China dasselbe passiert? Wie wäre es denn einmal mit einer weniger aufgeregten Variante? Chinas Aufstieg ist normal und legitim. Chinas Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, der Untergang des Abendlandes steht nicht bevor, aber die machtpolitischen Gewichte verschieben sich weltweit – wieder einmal. So wie sie es seit Jahrhunderten immer getan haben. Wer auf dem Pendel reitet, das seit Jahren zwischen Chinaangst und Chinabegeisterung munter hin- und herschwingt, hält die Zugluft vielleicht allzu schnell tatsächlich für einen Sturm.

Das Geheimnis des Erfolges liegt darin, sich diesen Veränderungen zu stellen und sich ihnen anzupassen anstatt vor Angst zu erstarren und nach der bestmöglichen Abwehrhaltung zu suchen. Angst lähmt, Empörung hilft nicht – also was dann? Jeder, der einmal nach China, aber auch nach Indien, Brasilien und Südafrika gereist ist, spürt sehr schnell, dass dort eine ganz andere Stimmung herrscht. Probleme haben die Menschen zuhauf, aber Zuversicht auch. Und die ist uns in Europa irgendwie verloren gegangen. Ob es daran liegt, dass wir zu satt sind? Wie auch immer: China wird in Zukunft seinen Teil der Mitsprache bei globaler Regelsetzung einfordern, völlig legitimerweise. Europa, Deutschland und gar der gesamte Westen werden das kaum verhindern können. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass die Chinesen mit uns genauso rüde umgehen werden, wie wir es mit ihnen getan haben, als Regelsetzung auf europäisch mit Kanonenbooten betrieben wurde. Es gehört zu den normalen Entwicklungen einer immer globalisierteren Welt, dass uns Interessen anderer Akteure unmittelbar und direkt betreffen. Auch China wird in einem langsamen und mühsamen Anpassungsprozess lernen, dass Kompromisse kostengünstiger zu haben sind als Ellbogenpolitik. Der erwachte „chinesische Drache“ macht uns Angst, aber vielleicht kommt es tatsächlich darauf an, wie wir China und uns selbst in der Weltpolitik der nächsten Jahrzehnte sehen. Europa hat weiß Gott keinen Grund sich zu verstecken. Ein bisschen mehr asiatisch motivierte „Oh du Flöhlichkeit“ würde vor Weihnachten ja vielleicht schon helfen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

— Prof. Dr. Eberhard Sandschneider, Otto-Wolff- Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

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