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Meinung: Glaube, Liebe, Kinder

Deutschlands Einwohnerzahl schrumpft, die Familienpolitik ist gescheitert – was tun?

Sei doch mal spontan! Entspann dich! Einige Aufforderungen sind nutzlos. Auf Befehl hin spontan zu sein, ist unmöglich. Mit dem Kinderkriegen verhält es sich ähnlich. Seit Jahren rufen deutsche Politiker ihren Landsleuten zu: Bekommt mehr Kinder! Und seit Jahren haut ihnen die Realität ihre familienpolitischen Großanstrengungen um die Ohren.

Das Statistische Bundesamt teilte jetzt mit, dass das Geburtendefizit in Deutschland – also die Zahl der neugeborenen Kinder minus die der Sterbefälle – auf dem höchsten Stand seit 1976 ist und die Bevölkerungszahl weiter schrumpft. Trotz aller Milliarden, die in Krippenplatzausbau und Elterngeld gesteckt werden, verschwindet jährlich eine Großstadt.

Folglich müsste noch etwas verschwinden – der Glaube an die Möglichkeiten des Staates, die Geburtenrate durch pekuniäre Maßnahmen entscheidend zu beeinflussen. Denn diese These darf als widerlegt gelten. Familienpolitik geht vom Ideal der Familienplanung aus: Wer Kinder bekommen kann ohne gravierende Einkommenseinbußen bei hoher beruflicher Flexibilität und gesicherter öffentlicher Kinderbetreuung, der bekommt auch Kinder. Was aber, wenn das nicht stimmt? Wenn die Frage des Nachwuchses weit weniger eine Frage der Bequemlichkeit ist, als angenommen?

In den USA und Irland gibt es so gut wie keine staatliche Familienförderung. Die Entscheidung für den Nachwuchs ist dort außerdem mit weit größeren Strapazen verbunden als bei uns. Dennoch weisen beide Länder die höchsten Geburtenraten innerhalb der entwickelten Industriestaaten auf.

Um das zu erklären, greifen Bevölkerungstheoretiker immer öfter auf den Faktor Religion zurück. National und international lässt sich sagen, dass religiös aktive Menschen weitaus mehr Kinder haben als ihre säkularen Nachbarn der gleichen Region sowie der gleichen Einkommens- und Bildungsschicht. Laut einer vom Heidelberger Religionswissenschaftler Michael Blume erstellten Tabelle existiert ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen religiöser Aktivität (Beten, Gottesdienstbesuch) und Kinderzahl. Am wenigsten Kinder bekommen Konfessionslose.

Nun weisen auch katholische Länder wie Polen und Italien niedrige Geburtenraten auf, während Schweden und das laizistische Frankreich gut abschneiden. Daher muss zwischen tradierten und vitalen religiösen Gesellschaften unterschieden werden. Eine vitale Religionsgemeinschaft zeichnet sich durch starke religiöse Aktivität ihrer Mitglieder, ein hohes Maß an gemeindlicher Organisation, niedrige Scheidungsraten und die Pflege des transzendenten Zusatzargumentes für Familie und Kinder aus (Gottes Gebot: „Seid fruchtbar und mehret euch!“).

Brauchen wir eine Rückkehr zur Religion? Nicht unbedingt. In einer rapide alternden Gesellschaft müssen immer weniger Menschen immer mehr Geld erwirtschaften, damit die sozialen Sicherungssysteme (Rente, Gesundheit) nicht kollabieren. Wer den Glauben an die Familienpolitik verloren hat, aber zum Glauben an Gott nicht zurückkehren will, kann auch für eine massive Einwanderung plädieren und für eine rasche Aufnahme der Türkei in die EU.

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