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Meinung: Gnade statt Recht

Von Gerd Appenzeller

Das war ein schlechter Tag für die Bundesrepublik, ein schlechter Tag für alle jene, die sich einen Staat mit menschlichem Antlitz wünschen und es war vor allem ein schlechter Tag für etwa 200 000 geduldete, aber letztlich rechtlose Flüchtlinge in Deutschland. Die Innenminister der Bundesländer haben sich nicht auf eine Bleiberechtsregelung für seit Jahren ohne sicheren Status bei uns lebende Ausländer geeinigt. Nach der Bildung einer großen Koalition auf Bundesebene hatten nicht nur die Kirchen, Sozialverbände und Menschenrechtsorganisationen gehofft, es könne zwischen Unions- und SPD-regierten Ländern ein Einvernehmen erreicht werden, um endlich ein Problem zu lösen, das sich, über Jahre hinweg anwachsend, mehr und mehr als menschliches Drama erweist. Die CDU-geführte hessische Landesregierung war mit einem entsprechenden Vorstoß in das Treffen gegangen. Wer arbeitet und sich in die Gesellschaft integriert, darf bleiben, war die hessische Devise. Das Reformprojekt scheiterte vor allem am bayerischen Widerstand gegen eine allgemeine Lösung.

Bundesinnenminister Schäuble glaubt, dass 80 Prozent derer, die keine legale Aufenthaltserlaubnis haben, durch Schleuserbanden nach Deutschland gebracht wurden. Er will keine Regelung, die diese „organisierte Kriminalität“ unterstützt. Das mag heute so sein, dagegen muss man rechtliche Barrieren errichten. Der Alltag freilich sieht anders aus. Hier geht es meistens um Familien, die während des Bürgerkriegs auf dem Balkan nach Deutschland flohen und die aus den verschiedensten Gründen eine Rückkehr für unmöglich halten. Dieser Alltag manifestiert sich in zerrissenen Familien, bei denen, nach langjähriger Anwesenheit in der Bundesrepublik, über Nacht in der Regel der Vater mit den älteren Kindern abgeschoben wird, während die kleinen Kinder auf Grund der Rechtslage mit der Mutter bleiben dürfen. Es handelt sich fast immer um in den Gemeindealltag und das Schulleben voll integrierte Menschen, die fließend Deutsch sprechen. Die Zeitungen sind voll mit Berichten über die verzweifelten Proteste ganzer Schulklassen gegen solche als herzlos und brutal empfundenen Ausweisungen.

Um das Schicksal der Betroffenen kümmern sich seit Jahresbeginn Härtefallkommissionen, die die Fälle dem jeweiligen Innenminister vortragen. Der entscheidet für oder gegen die Ausweisung. So wichtig die Einrichtung dieser Kommissionen war – sie sind das staatliche Eingeständnis, dass die bestehenden Regelungen im Einzelfall unmenschliche Folgen haben können. Ein Gnadenakt der Obrigkeit also nun statt einer tragbaren, einer Demokratie würdigen, humanen rechtlichen Basis. Sie zu schaffen, sahen sich die Innenminister gestern nicht im Stande. Es war, siehe oben, kein guter Tag für Deutschland.

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