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Meinung: Grenze der Freiwilligkeit

Im Streit um den Stabilitätspakt stärken Europas Richter die Kommission – ein bisschen

Haben die Währungshüter in der EU-Kommission jetzt wieder die Macht zurückbekommen? Wird Hans Eichel schnell ein paar Milliarden einsparen müssen, um den Stabilitätspakt wieder einzuhalten?

Auf den ersten Blick sieht es danach aus: Der Europäische Gerichtshof hat der Kommission bei ihrer Klage gegen den Ministerrat in entscheidenden Fragen Recht gegeben. Zwar steht es den Finanzministern der Euro-Staaten frei, Sparauflagen der Kommission nicht anzunehmen, weil sich keine Mehrheit für sie findet – und so das Defizit-Strafverfahren auf Eis zu legen. Aber sie dürfen nicht eigene, unverbindliche „Schlussfolgerungen“ ziehen und die dann in einem parallelen Verfahren mit eigenen Regeln umsetzen. Genau das aber hat der Ministerrat im November 2003 getan – und damit die Kommission als Hüterin des Stabilitätspakts entmachtet.

Die Entscheidung bedeutet andererseits nicht, dass nun die Kommission gegen den Willen des Finanzministerrats Haushaltssünder disziplinieren kann. Bei dem Urteil muss man auf die Details aus dem Defizitverfahren schauen, das die Kommission gegen Frankreich und Deutschland wegen wiederholter Verletzung des Stabilitätspakts eingeleitet hatte. Nach wie vor haben die Nationalstaaten die Macht, die Sparempfehlungen der Kommission nicht anzunehmen.

Die Kommission hat jedoch in den Detailfragen Recht bekommen, das stärkt sie nach der politischen Niederlage vom November – und das ist wichtig. In den jüngsten Jahren hatten die Mitgliedstaaten zunehmend versucht, der EU wieder einen Teil der Macht abzujagen, die sie ihr in den Boomjahren der europäischen Integration überlassen hatten. Die 90er Jahre waren die Zeit immer größerer und schnellerer Schritte – mit der Währungsunion als Krönung. Seit dem EU-Gipfel von Nizza 2000 ist diese Automatik gestoppt. Damals konnten sich die Staatschefs nur auf minimale Korrekturen der Abstimmungsregeln einigen, um die Osterweiterung zu ermöglichen. Überhaupt dient „Brüssel“ immer häufiger als Sündenbock. Der Sparzwang bremse das Wachstum, moniert Finanzminister Hans Eichel, die vielen Binnenmarktregeln schaden den deutschen Unternehmen, bemängelt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement.

Aber trifft dieses Bild die Wirklichkeit: Die nationalen Regierungen verteidigen die Interessen ihrer Bürger gegen Europa? Die EU ist viel mehr als ein loser Zusammenschluss von Staaten, die europäischen Institutionen reden in den Hauptstädten schon lange mit – und das oft im Interesse der Bürger. Der Stabilitätspakt mit seiner Verpflichtung zum Sparen schützt die Bürger schließlich auch vor kurzfristigen Ausgabeinteressen der Politiker, die auf Kosten der nachfolgenden Generationen gehen.

Die Staaten der Eurozone haben das Instrument nationaler Geldpolitik freiwillig aus der Hand gegeben. Die Währungsunion funktioniert aber nur, wenn die Mitglieder ihre Haushaltspolitiken koordinieren. Das Urteil aus Luxemburg kann das nicht erzwingen. Aber es versetzt die Kommission wieder in die Position, politischen Druck auszuüben. Die EU lebt aber auch von der Bereitschaft aller, sich freiwillig an die Regeln zu halten.

Um diesen Zwiespalt weiß auch die Kommission. Wenn sie klug ist, wird sie das Urteil nicht nutzen, um den Konflikt mit den Defizitsündern zu forcieren. Im Herbst tritt eine neue Kommission an. Die muss dann mit den nationalen Finanzministern zu einem neuen Umgang finden, der dem Ziel des Stabilitätspakts dient.

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Flora Wisdorff

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