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Wo geht's lang bei den Grünen? Cem Özdemir und Claudia Roth auf dem Parteitag in Freiburg.

© dpa

Grünen-Parteitag: Sankt Florian wartet schon

Die Grünen wollten "die Republik rocken", doch inhaltlich rockt bei ihnen ziemlich wenig. Den angestrebten Platz im politischen Establishment müssen sie noch begründen.

Von Matthias Meisner

Trau keinem im Establishment. Sie gilt noch bei den Grünen, die alte Regel. Mindestens dieses eine Mal, als der Parteitag in Freiburg zu später Stunde über die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 diskutiert und sich, wenn auch knapp, für ein klares Nein gegen das sportliche Großereignis entscheidet. Es ist nur formal ein Votum in der Sache, eines gegen ein „Milliardengrab Olympia“. Das nächste Stuttgart 21, diesmal die Grünen mittenmang – das ist auch Misstrauen gegen die eigene Führung. Denn begeistert hatte sich Parteichefin Claudia Roth ins Kuratorium der Bewerbergesellschaft berufen lassen; da muss sie jetzt raus. Noch also gibt es den grünen Urverdacht, dass, wer einmal im System angekommen ist, die alten Ideale verrät und sich korrumpieren lässt.

Und das jetzt, da die Grünen doch eigentlich so richtig mächtig werden wollen. In vier Monaten wird in Baden-Württemberg gewählt. Winfried Kretschmann, der Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, will der erste grüne Ministerpräsident der Republik werden, und womöglich gibt ihm die im Südwesten nachhaltig schwächelnde SPD sogar die Chance dazu. „Oben bleiben“, skandieren Kretschmanns Parteifreunde – es ist der Slogan gegen die Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde, aber auch die Beschwörung, auch in den Umfragen oben zu bleiben. Nur, sollte die erste grün-rote Regierung ihre Geschäfte aufnehmen, wird das Wort Kompromiss von den Grünen öfter zu hören sein.

Kann das weit vorangetriebene Projekt Stuttgart 21 dann wirklich noch gestoppt werden? Gilt dann auch bei den Grünen das Prinzip Sankt Florian? Wo soll das Geld für die versprochenen Wohltaten herkommen? In Freiburg hat die Parteiführung gepocht auf die Finanzierbarkeit von gestellten Forderungen. Letztlich ging es dann aber doch nur um die folgenlose Befassung mit den Spiegelstrichen von Grundsatzanträgen.

Hinzu kommt: Das neue Verhältnis zwischen den Grünen und ihrem Wunschpartner SPD wird nicht nur spannender, sondern oft angespannter, sogar verkrampft. Bisher blendet die grüne Spitze das aus. Im Südwesten der Republik mag es mit einer kleinlauten SPD noch klappen. Für Renate Künast aber wird im kommenden Jahr der Einzug ins Rote Rathaus in Berlin als Regierende Bürgermeisterin nicht so einfach. Keiner weiß, ob die neue Stärke der Grünen ein ganzes Jahr anhält. Und noch ist die SPD in der Hauptstadt viel zu beleidigt, um locker mit grüner Frechheit umzugehen. Solche Konflikte müssen die Grünen auflösen und dazu ihre Bereitschaft zu belastbarer Verantwortungsübernahme dokumentieren, wenn sie gewinnen und auch im Bund eine Machtperspektive wollen. Stattdessen stänkern sie bisher nur gegen den „Volkspartei-Karren, der längst ins Museum gehört“. Das ist zu platt.

Die Grünen wollten „die Republik rocken“, hat der Vorsitzende Cem Özdemir gesagt. Formal kann der Anspruch 2011 in Erfüllung gehen mit wieder neuen politischen Konstellationen; Schwarz-Grün in Hamburg und das Jamaika-Bündnis mit der FDP im Saarland waren ja auch schon mal was. Aber die vielfältige Orientierung der Grünen belegt auch Beliebigkeit. Inhaltlich rockt ziemlich wenig. Wenn aber immer schwerer zu ahnen ist, mit wem die Grünen etwas umsetzen wollen, wird auch schwieriger zu sagen, was sie eigentlich wollen. Die Grünen mögen etabliert sein, den angestrebten Platz im politischen Establishment müssen sie noch begründen.

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