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Meinung: Gruselshow der Virusjäger

Amerika arbeitet an der Abwehr von Bioterror – mit gefährlichen Mitteln / Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die schlimmste Seuche des 20. Jahrhunderts wurde gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Als das neue Grippevirus im Mittleren Westen der USA Soldaten ansteckte, hatten die Geheimdienste schnell eine Idee, woher der besonders tödliche Erreger stammen musste: aus den Laboren deutscher Biowaffenforscher. Möglicherweise war er mit präparierten AspirinTabletten bei der US-Armee eingeschleust worden. Die immensen Verluste, insbesondere unter gesunden, jungen Männern, wurden aus taktischen Gründen geheim gehalten – man schrieb den März 1918, die Welt stand seit Jahren im Krieg. Erst Monate später, als die Seuche bereits in weiten Teilen Europas wütete, berichteten Ärzte im neutralen Spanien offen über die neue Krankheit. Deshalb ging sie ungerechter Weise als „Spanische Grippe“ in die Geschichte ein.

Heute steht fest, dass das Super-Virus nicht in deutschen Militärlaboren entstanden ist, sondern zufällig beim Sprung über die Artengrenze vom Tier auf den Menschen. Trotzdem steht der unheimliche Killer, dem in zwei Jahren 25 bis 40 Millionen Menschen zum Opfer fielen (je nach Schätzung), bei den Biowaffenexperten neuerdings hoch im Kurs. Da die Wissenschaftler herausfinden wollen, warum das damalige Grippevirus vom Typ H1N1 so besonders tödlich war, sind die Überreste der Epidemieopfer zu einer heiß begehrten Ware geworden. Auf Friedhöfen im Permafrost von Alaska, in formalinfixierten Leichenteilen und pathologischen Sammlungen suchen die Forscher nach der Erbinformation des Erregers.

Die Wiederbelebung des Tyrannosaurus aus dem Reich der Mikroben wäre allerdings nicht ungefährlich – niemand kann zuverlässig vorhersagen, ob das Grippevirus bei einem Ausbruch noch einmal eine globale Epidemie auslösen würde. Hinzu kommt, dass sogar die bloße Gensequenz des Virus zur Gefahr werden könnte, wenn sie in die falschen Hände gerät: Aus den Daten, die auf eine simple Floppy-Disk passen, wird sich voraussichtlich schon in naher Zukunft das gefährliche H1N1-Virus von 1918/19 rekonstruieren lassen. Bei einfacheren Viren ist die Schöpfung aus der Datenbank bereits gelungen.

Die Mehrheit der seriösen Wissenschaftler steht deshalb vor einem Dilemma: Für den Kampf gegen die nächste globale Epidemie muss Forschung betrieben werden – auch solche, deren Ergebnisse theoretisch von Bioterroristen missbraucht werden könnten.

Auf dem schmalen Grat zwischen notwendiger und nicht mehr verantwortbarer Forschung hat US-Präsident Bush jedoch mit seinem milliardenschweren „Bioshield“-Projekt ein gefährliches Irrlicht aufgestellt: Projekte, die zur Abwehr biologischer Anschläge dienen oder auf andere Weise der nationalen Sicherheit nutzen, können mit massiver Förderung rechnen. Erforscht wird deshalb, was Gänsehaut macht: Ebola, Pocken, Pest – oder eben die gentechnische Wiederauferstehung der „Spanischen Grippe“.

Dabei sind gerade die spektakulärsten Experimente oft wissenschaftlich wenig ergiebig: Vor zwei Jahren machten australische Wissenschaftler das harmlose Mäusepockenvirus künstlich scharf. Kürzlich wiederholte ein Team von der St. Louis University das umstrittene Experiment und machte das Mäusevirus noch tödlicher – ohne erkennbaren Nutzen. Auch auf die vollständige Rekonstruktion des Grippevirus von 1918/19 sollte im Kampf gegen künftige Epidemien getrost verzichtet werden. Sonst könnte die Terrorangst in Amerika bald selbst zur Biogefahr werden.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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