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Meinung: Härte und Unrecht gibt es überall ...

… aber nur in der Diktatur eine Stasi

Wenn Sie noch nicht in dem Film „Das Leben der anderen“ gewesen sein sollten – unbedingt hingehen. Für mich ist dieser Film eine dichte Metapher für das Funktionieren einer Diktatur, für ihre Ausnutzung menschlicher Triebe und Schwächen, zugleich eine Chiffre für die schwache Natur des Menschen in seiner starken Sucht, Macht auszuüben oder sich ihr zu unterwerfen (oder gar beides in einem und demselben Augenblick) – dann natürlich auch für die Skrupel, die diese Sucht durchkreuzen, zu selten freilich.

Und es ist dies ein höchst politischer Film! Denn danach müsste eigentlich Schluss sein mit der elenden „Ostalgie“. Wobei ich nichts gesagt haben will gegen Filme wie „Good bye, Lenin!“ oder „Sonnenallee“. Aber gerade in dem Nebeneinander dieser beiden Perspektiven, der düsteren und der irgendwie komischen, wird das eigentliche politische Problem deutlich. Natürlich gibt es auch in der Diktatur, gab es auch in der DDR, das normale, gemütliche, auch das glückliche und geglückte Leben. Doch der – mit Kant zu sprechen – „Grenzgott“ des gesamten Systems war die terroristische Gewalt, war die Nötigung zur Unterwerfung, die Aushorchung und Unterdrückung des Abweichenden, die Untergrabung menschlich wahrer Beziehungen durch den Zwang zur aktiven und passiven Konspiration – dies alles verkörpert durch das „Grenzsystem“ Stasi.

Wer wollte da sagen: Ich selber hatte doch ein leidlich schönes Leben und keine Scherereien mit der Stasi? Erstens: Wusste man das so genau? Zweitens: Gerade darin zeigt sich ja die Wirksamkeit der diktatorischen Gewalt, dass sie gar nicht jederzeit grob dreinschlagen musste – schon das Bewusstsein von ihrer Präsenz genügte; übrigens auch dazu, sich nun vorsichtshalber gleich auf die „gemütlichen“ Teile des Lebens zurückzuziehen. Aber dies war im besten Falle eine geliehene Gemütlichkeit – auf Zeit und unter Bedingungen, die man selber nicht in der Hand hatte. Insofern hat Adornos Diktum „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ ein relatives Recht für sich.

Nun machen wir die Gegenprobe! Natürlich gibt und gab es auch in der freien, der offenen Gesellschaft böse und schwache, machtgierige und unterwürfige Menschen, auch die größeren und kleineren Helden des Übergangs und der Aufrichtigkeit. Außerdem gibt es gewiss auch in der freiheitlichen Demokratie Unrecht und in der sozialen Marktwirtschaft grobe Härten. Aber der „Grenzgott“ dieses Systems ist der Rekurs auf das Recht und die Wahrheit, ist also das Recht, vor Gericht zu ziehen und seine Kritik frei zu äußern. Und noch eines: das Recht, sich zur Verteidigung seiner Rechte und Interessen mit anderen zusammenzutun. (Ich weiß – mit der Einschränkung: keine Freiheit für die Gegner der Freiheit. Doch diese Einschränkung hebt das Prinzip nicht auf, sondern schützt es.) Insofern hat Adorno wieder relativ unrecht: Es gibt eben doch ein richtiges Leben, trotz all des falschen.

Jene absonderliche Ostalgie aber, an welche die Alt- und Jungfunktionäre der PDS oder die Altherrenvereinigungen der Stasi-Offiziere immer wieder appellieren, sie lebt vom „bewussten Vergessen“ der beiden „Grenzgötter“, jedenfalls von der Verwischung der Unterschiede zwischen ihnen – damals der Staatsterrorismus der Stasi, heute das Miteinander von ungezügelter Öffentlichkeit und Bundesverfassungsgericht. Die Frage ist nicht, ob es in dem einen System nur Unrecht, in dem andern nur Recht gibt. Sondern sie lautet: In welchem System darf das Unrecht beim Namen genannt werden –, ohne dass die Stasi kommt, und das Leben der anderen bedrängt und unterdrückt. Also – nichts wie hin ins Kino: „Das Leben der anderen“.

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