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Schwarz-Gelb will den Hartz-IV-Satz um fünf Euro im Monat anheben.

© dpa

Hartz IV: Es geht nicht um fünf Euro

Die unerwartet niedrige Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes bietet Demagogen viel Potenzial. So sinnvoll die neue Berechnungsmethode sein mag, an den tatsächlichen Erfordernissen geht die geplante Reform vorbei. Ein Kommentar.

Wer geglaubt hatte, bei der Umsetzung eines Verfassungsgerichtsurteils werde die Koalition Hartz-IV-Empfängern deutlich mehr Geld zusprechen, dürfte seit Sonntag schwer enttäuscht sein. Aber hatte das wirklich jemand ernsthaft geglaubt? War von Angela Merkel (CDU) zu erwarten, dass sie die wichtigste Kennzahl aus der Arbeitsmarktreform von Gerhard Schröder (SPD) radikal aufstockt?

Es gab keinen Anlass für diese Annahme, und sie folgte mitnichten aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es monierte ja nicht die Höhe des Regelsatzes, sondern das Verfahren, wie er berechnet wird, insbesondere bei den Kindern. Die Welle der Empörung, die nun durch die Talkshows schwappt, ist ebenso erwartbar wie kalkuliert. Tatsächlich sind fünf Euro mehr im Monat selbst für die meisten Arbeitslosen und Wenigverdiener nicht der Rede wert. Wer sie bekommt, kann das als Hohn empfinden. Immerhin ist es Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gelungen, etwas mehr Transparenz bei der Berechnungsgrundlage zu schaffen. Und es ist auch richtig, Hartz IV an Inflation und Gehaltsentwicklung zu koppeln statt an die Renten (allerdings, das nur nebenbei, werden damit die Rentner die einzigen Menschen sein, deren Bezüge qua Gesetz nie wieder sinken dürfen).

Doch so sinnvoll die neue Berechnungsmethode sein mag, an den tatsächlichen Erfordernissen geht die geplante Reform vorbei. Es müsste ja eigentlich gerade nicht nur um eine Handvoll Euro hin oder her gehen, sondern um – Gerechtigkeit. Niemand wünscht sich, für alle Ausgaben außer der Warmmiete nur über 359 oder 364 Euro zu verfügen. Aber Familien, in denen niemand arbeitet, können unter Umständen mit staatlichen Leistungen über ein ähnliches Budget verfügen wie Wenigverdiener.

Das ist ein gravierendes Problem, denn ein zu geringer Lohnabstand ist erstens ungerecht und zweitens kontraproduktiv. Die Koalition wäre gut beraten, stärkere Anreize für Arbeit zu schaffen und die Zuverdienstgrenzen zu verändern. Und es ist an der Zeit, sich bei den Niedrigeinkommen offensiv zwischen zwei Systemen zu entscheiden: Rot-Grün hat das System des Aufstockens geschaffen, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Die Logik war (und ist): Es kommt den Staat billiger, Lohnzuschüsse zu zahlen, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Die niedrigen Löhne hat die letzte sozialdemokratisch geführte Bundesregierung also bewusst, mit voller Absicht hingenommen.

Jetzt vollzieht die SPD einen Kurswechsel und verdammt das Aufstocken als eine Subvention für gierige Unternehmer. Nun soll es stattdessen der Mindestlohn richten, also ein anderes System. Bloß: Ist der Mindestlohn niedrig genug, dass er nicht in großem Stil Arbeitsplätze vernichtet, und schert er außerdem alle Branchen und alle Regionen über einen Kamm, dann hat er für die meisten Arbeitnehmer keine Bedeutung. Kurzum: Weder die Bundesregierung noch die Opposition haben eine schlüssige Antwort auf die Nöte der Wenigverdiener.

Ein zweites zentrales Problem hat die Bundesregierung ebenfalls nicht hinreichend gelöst. Bildungsgutscheine entspringen der eigentlich guten Idee, dass die Kinder auch in den Genuss der Dinge kommen sollen, die ihnen der Staat zuspricht. Den Eltern soll keine Wahl gelassen werden, ob sie sich ausreichend um die Bildung ihrer Kinder bemühen. Das wirft grundsätzliche Fragen auf, aber vor allem ganz praktische: Denn sogenannte bildungsferne Eltern werden sich wahrscheinlich nicht auf den Weg zum Jobcenter machen, um ihren Sprösslingen den Weg an die Musikschule zu ebnen.

Wer Bildungsgutscheine will, muss es den Eltern leicht machen, um die Kinder zu erreichen. Vielleicht darf das Amt nicht nur auf den Besuch der Eltern warten, sondern sollte auf sie zugehen. Denn sonst gerät die Bundesregierung in den Verdacht, auf nicht abgeholte Bildungsgutscheine zu spekulieren und wieder einmal eine Sparmöglichkeit gefunden zu haben. Es lässt sich nicht viel Gutes an dieser Reform finden – aber um fünf Euro geht es dabei nicht.

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