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Meinung: Hauptsache Arbeitsplatz

Gewerkschaften sind ein gutes Werkzeug gegen die Verschleuderung von Humankapital

Die Aufgabe ist eigentlich nicht kompliziert. Es geht um die Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen der Menschen. Dazu sind Gewerkschaften da. Und da es in absehbarer Zeit trotz Ich-AG, Ein-Euro-Jobs und anderen Erfindungen der Arbeitsmarktpolitiker noch reichlich Menschen in abhängiger Beschäftigung gibt, geht den Gewerkschaften die Arbeit nicht aus. Aber arbeiten sie auch gut? Die Kunden sind offenbar nicht der Ansicht. Jedes Jahr verlieren die acht im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften ein paar hunderttausend Mitglieder; zurzeit zahlen noch sieben Millionen einen Gewerkschaftsbeitrag. Das sind einige Millionen weniger als zu Beginn der 90er Jahre – und doch viel mehr, als alle politischen Parteien zusammen haben.

In der Gewerkschaftsszene beschreibt man sich selbst mit einem Bonmot: „Der Elefant hat gemerkt, dass er auf der Stelle tritt; er bewegt sich, weiß aber nicht wohin.“ Also Richtungsstreit? Machtkampf zwischen den vermeintlich moderaten Modernisierern um IG-Chemie-Chef Hubertus Schmoldt auf der einen und den traditionalistschen Betonköpfen Jürgen Peters (IG Metall) und Frank Bsirske (Verdi) auf der anderen Seite? Das wäre zu einfach. Gewiss waren sich die Funktionäre nicht einig über den Umgang mit den rot-grünen Sozialreformen; Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den innergewerkschaftlichen Zoff dann auch noch gefördert, weil das die Durchsetzungschancen der Agenda 2010 erhöhte.

Aber das ist zum einen Geschichte und zum anderen nicht sonderlich bedeutsam für die Zufriedenheit der Arbeitnehmer, die den Erfolg ihrer Gewerkschaft vorrangig am eigenen Arbeitsplatz beobachten: Wie viel Geld bekomme ich für wie viel Arbeit? Gibt es eine Prämie für besondere Leistungen oder für den hohen Gewinn meiner Firma? Wie läuft die Weiterbildung? Und: Wie sicher ist der Arbeitsplatz und kann meine Gewerkschaft dazu beitragen, dass er sicherer wird? Die Verkäuferinnen bei Karstadt haben im vergangenen Jahr ganz unmittelbar gemerkt, was sie an ihrer Gewerkschaft haben. Und die Autobauer bei Opel auch. Wie wären diese Unternehmenskrisen wohl für die Beschäftigten ausgegangen, wenn es keine starke Gewerkschaft im Betrieb gegeben hätte? Die Beispiele zeigen indes auch die momentane Stellung der Gewerkschaften: mit dem Rücken an der Wand.

Der Skandal der Massenarbeitslosigkeit dauert inzwischen gut zehn Jahre und beeinträchtigt die Bereitschaft der Beschäftigten, sich auf Verteilungskämpfe einzulassen. Die Internationalisierung der Wirtschaft verschärft den Druck auf die Unternehmen aber vor allem auf die Beschäftigten. Wer mit der Verlagerung seines Arbeitsplatzes bei Siemens von Kamp-Lintfort nach Ungarn bedroht wird, der verzichtet eben auf 30 Prozent seines Einkommens – Hauptsache Arbeitsplatz. In dieser Kulisse haben sich die Gewerkschaften zu behaupten. Auch gegen Attacken aus Politik und Verbänden auf die Mitbestimmung und damit den Kern der Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Manche Arbeitgeber wollen die Schwäche des „Sozialpartners“ nutzen und die „Herr-im-Hause“-Ideologie durchsetzen: Entweder der Arbeitnehmer akzeptiert, was der Arbeitgeber anbietet – oder er wird gegangen.

Wo führt das hin, außer womöglich zu kurzzeitig tollen Renditen? Zu einer Verschleuderung des Humankapitals. Aber das ist das Beste was wir haben, und auch aus volkswirtschaftlichen Gründen sollte der Umgang mit den Arbeitnehmern nicht allein ins Ermessen der Arbeitgeber gestellt werden. Nicht von ungefähr ist die Wirtschaft dort besonders stark, wo die Gewerkschaften stark sind. In Baden-Württemberg etwa oder in der Autoindustrie. Wenn der Elefant zurückgeht in die Betriebe, vor Ort zu den Arbeitnehmern, dann kommt er auch über die nächsten Jahrzehnte.

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