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Meinung: Haushalt: Feigheit vor den Fakten

Die schlichte Zahl spricht für sich: 1 220 400 000 000 Euro. So viel Schulden hatten Bund, Länder und Kommunen gestern Nachmittag.

Von Lutz Haverkamp

Die schlichte Zahl spricht für sich: 1 220 400 000 000 Euro. So viel Schulden hatten Bund, Länder und Kommunen gestern Nachmittag. Heute sind es schon 115 Millionen Euro mehr. Und morgen, und übermorgen auch. Jeden Tag. Erst einmal diesen rasanten Anstieg zu stoppen, ist das Ziel von Finanzminister Hans Eichel. Vom Abbau des Schuldenbergs ist jetzt noch gar keine Rede. Die aktuellen Zinsbelastungen werden noch viele Generationen zahlen müssen, die Tilgungen sowieso.

Dass in einer solchen Diskussion überhaupt über Sinn und Unsinn des Sparens gestritten wird, macht jeden Steuerzahler schlicht sprachlos. Es besteht akuter Handlungsbedarf, weil die Fakten so sind wie sie sind. Daran ändert der Wahltermin im September nichts - auch wenn Politiker jetzt keine Lust auf schmerzhafte Reformen haben. Eichels Vorschlag, einen nationalen Stabilitätspakt ins Lebens zu rufen, könnte die Basis für eine Neuorientierung der deutschen Finanzpolitik werden. Die Voraussetzung ist: Alle machen mit und halten sich an die vereinbarten Verfahren. Und alle müssen ehrlich sein.

Der Vorwurf von Ländern und Gemeinden, Eichel saniere den Bundeshaushalt zu ihren Lasten, ist zwar in Teilen korrekt, greift aber zu kurz. Deutschland hat ein funktionierendes föderales System. Als ein Glanzstück dieser Verfassung wurde vor kurzem noch die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs gefeiert. Mit Zustimmung aller wurde festgeschrieben, dass sich wirtschaftlicher Erfolg auch für die Bundesländer wieder rechnen muss: mehr Wettbewerb, mehr Steuereinnahmen für die eigene Kasse, weniger für den großen Gemeinschaftstopf. Ein guter Kompromiss aus Solidarität und Egoismus. Die reichen Geberländer hatten ihre Hauptziele erreicht, der arme Osten fühlte sich nicht allein gelassen, es gibt Planungssicherheit bis zum Jahr 2020. Alle waren zufrieden.

Die von den Ländern jetzt viel gescholtene Steuerreform fand im Bundesrat eine Mehrheit. So wie alle Gesetze, die die Finanzkraft der Bundesländer beeinflussen, brauchen Rot-Grün und alle ihr nachfolgenden Bundesregierungen für steuer- und finanzpolitische Reformen eine Mehrheit in der Länderkammer. Gegen ihren Willen kann der Bundesfinanzminister wenig ausrichten.

Es sind also nicht nur Eichels Sparpläne, die Länder und Kommunen bejammern sollten. Es ist vielmehr ihre eigene Politik. Eine Politik, die mit dem Geld zukünftiger Generationen schlecht wirtschaftet. Beispiel Hessen: Vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten kündigte Roland Koch an, die Neuverschuldung des Landes binnen einer Legislaturperiode auf Null zu fahren. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Schließlich mussten Wahlversprechen erfüllt werden. Die Neuverschuldung wurde auf mehr als eine Milliarde Euro erhöht, ein ausgeglichener Haushalt ist nicht in Sicht.

An vielen Stellen kann geholfen werden. Das Bündnis für Arbeit wäre durch mehr Kooperation bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze ebenso in der Lage, die Einnahmesituation des Staates zu verbessern, wie eine ehrliche Bestandsaufnahme der Sozialversicherungen mit sich daraus ergebenden Reformgesetzen. Doch dafür muss sich in den Köpfen von Politikern und Lobbyisten einiges ändern. So lange blanke Interessenpolitik für die eigene Klientel veranstaltet wird, ist mit gestalterischer, reformorientierter Politik im Wahljahr schon mal gar nicht zu rechnen. Aber alle rufen genau danach: Bundeswehr, Gesundheit, Bundesanstalt für Arbeit, Agrarwende - Reformen, die angepackt werden müssen, gibt es genug.

Dass das nach der Wahl besser wird, ist längst nicht ausgemacht. Das zeigt sich im Großen wie im Kleinen - zum Beispiel die Reiterstaffel der Polizei in Berlin. Die wollte sich der Berliner Senat schlicht sparen, jetzt zahlt der Bund für Tier und Reiter. Für beide mag das ein glückliches Ende sein; den Beweis einer soliden Finanzpolitik sind die Verantwortlichen damit aber schuldig geblieben. Nur ein Beispiel von vielen, und das macht die Spardiskussion für den Steuerzahler so bitter: Weil sie unehrlich ist.

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