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Meinung: Haushaltsdefizit: Nicht ermahnt, noch nicht versetzt

Wenn der Stress so richtig groß wird, dann strahlt das oft auf den Körper aus. Dann verträgt der Magen keinen Kaffee mehr, und der Rücken zwickt bei allen möglichen Bewegungen.

Wenn der Stress so richtig groß wird, dann strahlt das oft auf den Körper aus. Dann verträgt der Magen keinen Kaffee mehr, und der Rücken zwickt bei allen möglichen Bewegungen. So ging das in den letzten Tagen Hans Eichel. Doch trotz eines Bandscheibenvorfalls ist der Bundesfinanzminister nach Brüssel gefahren, um seine EU-Kollegen von der sparsamen Haushaltsführung der Deutschen zu überzeugen. Der mannhafte Einsatz im Auftrag des Kanzlers war erfolgreich, die Koalition bekommt keinen "blauen Brief". Aber hat sich der Einsatz gelohnt? Oder verstößt die Nachsicht mit Deutschen und Portugiesen gegen den - vom früheren Finanzminister Theo Waigel initiierten - Stabilitäts- und Wachstumspakt, schwächt sie den ohnehin schwachen Euro? Und kann Eichel überhaupt seine Verpflichtungen aus dem Brüsseler Handel einlösen: keine Frühwarnung, dafür im Gegenzug bereits 2004 ein "nahezu ausgeglichener" Bundeshaushalt?

Ein "blauer Brief" signalisiert in der Schule die gefährdete Versetzung - und das ausgerechnet dem langjährigen Musterschüler, dem stabilitätsorientierten Deutschland, das so schwer auf die D-Mark verzichtete und zur Sicherheit des Euro rigide Sparleitlinien durchsetzte. Deutschland aber hat den Brief verdient. Denn das gesamtstaatliche Defizit liegt 2001 und 2002 deutlich über den Prognosen und nähert sich gefährlich der Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Den Euro-Zweiflern hätte die Frühwarnung signalisiert: Die EU meint es ernst mit ihrem Stabilitätspakt und wendet dessen Regeln an.

Das hätte Edmund Stoiber so gepasst - dem amtierenden Bundeskanzler bis zum September das demütigende Papier vor die Nase halten zu können. Ausgerechnet für die Finanzpolitik, dem erfolgreichsten Gebiet rot-grüner Politik, müsste ein Rüffel eingesteckt werden. Nicht hinnehmbar für Gerhard Schröder, der schließlich Verbündete unter den Regierungschefs fand - für welche Gegenleistungen auch immer. Ohne die Wahl 2002 wäre die ganze Angelegenheit wohl so ausgegangen, wie Hans Eichel ursprünglich dachte: Die Warnung wird hingenommen, weil sie erstens im Einklang mit dem Stabilitätspakt steht, und zweitens, weil sie die Bundesregierung nicht wirklich kritisiert. Im Gegenteil: Auch die Kommission hat immer beteuert, Eichels Konsolidierungspolitik sei richtig.

Für den Bundeshaushalt trifft das auch zu - aber bei Ländern und Kommunen sieht es ganz anders aus. So fehlen den Städten und Gemeinden dieses Jahr rund 4,4 Milliarden Euro an Einnahmen, um ihre Ausgaben zu decken. Weil die Kommunen jedoch verpflichtet sind, ausgeglichene Haushalte vorzulegen, müssen sie Kredite aufnehmen oder Investitionen kürzen. Nach Angaben des Städtetags werden die Investitionen in diesem Jahr um 34 Prozent unter dem Niveau von 1992 liegen. Wen wundert da noch der erbärmliche Zustand vieler kommunaler Einrichtungen?

Angesichts der riesigen Löcher in den öffentlichen Haushalten ist Eichels Zusage, bereits bis 2004 die Einnahmen und Ausgaben ins Lot zu bringen, sehr wagemutig. Und wenn nicht spätestens im kommenden Jahr ein kräftiger Aufschwung kommt, dann wird Deutschland die jüngsten Selbstverpflichtungen keinesfalls einhalten können. Auch dann nicht, wenn die angekündigte Reform der Gemeindefinanzen endlich kommen sollte. Hans Eichel könnte für das einstimmige Abstimmungsverhalten der EU-Finanzminister noch einmal einen hohen Preis zahlen - wenn er denn versetzt wird und auch der nächsten Regierung angehört.

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