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Unzufrieden mit der Regierung und dem Kongress: Eine Anti-Obama-Demo in Florida.

© dpa

Haushaltsstreit in den USA: Kompromissfähigkeit und Ich-Stärke

In Amerika eskaliert erneut der Streit um den Etat. Prinzipien werden wichtiger genommen als Pragmatismus. Die Parteiräson steht über dem Wohl des Landes. Kompromisse gelten als Prinzipienlosigkeit.

Ein Zweiparteiensystem dient der Klarheit und der Orientierung. Die Gegensätze prallen scharf aufeinander. Die Positionen können markant formuliert werden. Das macht amerikanische Wahlkämpfe in aller Regel spannend. Eine Kehrseite dieses Modells ist die extreme Polarisierung. Parteiinteressen werden über das Wohl des Staates gestellt. Kompromissfähigkeit wird als Prinzipienlosigkeit verhöhnt. Der Gegner gilt als Feind, mit dem man nicht auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen ist, sondern der um jeden Preis in die Knie gezwungen werden muss.

Wenn dann noch die Mehrheitsverhältnisse im Weißen Haus und Kongress unterschiedlich sind, heißt das Ergebnis oft Stillstand, Paralyse, Blockade. Genau 21 Stunden und 19 Minuten hat der republikanische Senator Ted Cruz jetzt im Parlament ununterbrochen geredet, um die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama zu torpedieren. „Ich rede, bis ich nicht mehr stehen kann“, sagte der 42-jährige Anhänger der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung.

Wieder einmal eskaliert der Haushaltsstreit in den USA. Bis zum kommenden Dienstag muss ein Etat verabschiedet werden, andernfalls geht der Regierung das Geld aus. Das hieße, hunderttausende Staatsbedienstete müssten in Zwangsurlaub gehen, Ämter, Behörden, Museen und Nationalparks geschlossen werden. Die Republikaner machen ihre Zustimmung von drastischen Kürzungen bei der von ihnen leidenschaftlich bekämpften Gesundheitsreform abhängig, an der Obama und die Demokraten wiederum mit Zähnen und Klauen festhalten, denn die Gesundheitsreform ist Obamas innenpolitisches Prestigeobjekt. Auf dem Spiel stehen allerdings auch die Zahlungsfähigkeit der Regierung und die Kreditwürdigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt. Ein tiefer ideologischer Graben trennt die Parteien.

Die Entwicklung dahin erklärt sich aus der Historie. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten fürchteten kaum etwas mehr als eine Tyrannei der Mehrheit. Folglich wurde die Macht in der Verfassung beschränkt, die Gewaltentrennung institutionalisiert, „checks and balances“. Mit eingebaut in dieses System war die Erwartung, die gewählten Volksvertreter würden im Konfliktfall das Wohl des Landes über ihre partikularen Interessen stellen, Kompromisse auf der Basis politischer Vernunft erzielen.

Doch seit Jahren steigt die Bedeutung der Parteien und der Parteidisziplin. Mittlerweile haben 235 Abgeordnete und 41 Senatoren einen Eid darauf abgelegt, niemals Steuererhöhungen zuzustimmen. Konfrontation um jeden Preis verhindert die effiziente Ausübung politischer Macht.

Die Polarisierung im Kongress wiederum befördert ein Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Milieus. Immer unversöhnlicher stehen sich Liberale und Konservative gegenüber. Wegen der Sucht des ideologisierten Publikums, auch von den Medien entsprechend munitioniert zu werden, haben sich Nachrichtensender wie Fox-News (rechts) und MSNBC (links) radikalisiert.

Die Zahl der Amerikaner, die sich selbst als moderat bezeichnet – also weder liberal noch konservativ –, sinkt stetig. Häuslich haben sich beide Lager in parallelen Wahrnehmungswelten eingerichtet. Sie nehmen wahr, was ihre Weltsicht bestätigt, und blenden aus, was sie infrage stellen könnte.

Gleichzeitig werden die Intrigen im Kongress bedauert, der Stillstand beklagt. Das Ansehen des Parlaments ist auf einem Tiefpunkt. Politiker werden in ihrer ideologischen Erstarrung wahlweise als „Clowns“, „Idioten“ oder „Schwachköpfe“ beschimpft. Amerikas Abgeordnete sind längst unbeliebter als Gebrauchtwagenhändler und Journalisten.

Senator Cruz hat einfach nur geredet, stundenlang, immer weiter, über Gott und die Welt, bockig wie ein kleines Kind. Damit glaubte er, einer Partei zu dienen, einer Sache, einem Ideal. Dass er dabei lächerlich wirkte, war ihm egal. Kompromisse sind bei ihm und den Seinen verpönt, Prinzipien wichtiger als Pragmatismus.

Mit dem Teufel schließt man keinen Pakt: Dieses Dogma resultiert aus fast panischer Identitätsverlustangst. Wer es gegenüber demokratisch-zivilen Parteien vertritt, entwertet die Demokratie. Amerika lehrt: Ideologie und Ich-Schwäche können Hand in Hand gehen.

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