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Meinung: Hessische Landesregierung: Mehr Doppelmoral!

Die bürgerliche Doppelmoral hat keinen guten Ruf. Normalerweise wird sie enttarnt, gerne ist von der Maske bürgerlicher Doppelmoral die Rede, die selbstredend herunter gerissen gehört.

Die bürgerliche Doppelmoral hat keinen guten Ruf. Normalerweise wird sie enttarnt, gerne ist von der Maske bürgerlicher Doppelmoral die Rede, die selbstredend herunter gerissen gehört. Weniger beachtet wurde, welchen Nutzen sie hat. Denn die Doppelmoral kommt ins Spiel, wenn Norm und Neigung kollidieren. Weil bürgerliche Normen ziemlich rigide sein können, brauchen manche ein Ventil. Wer seine gesellschaftliche Rolle behalten, von seiner Passion aber nicht lassen wollte, der wählte - beides. So entstand die Doppelmoral, die in liberalen Gesellschaften nicht bestraft, sondern geduldet wird.

Dieses Konzept hat, neben allen Mängeln, einen Vorteil: Es schützt vor Fundamentalismus. Denn zum Fundamentalismus gehört es, den Rückzugsraum des Privaten zu beschlagnahmen. Ja, die Doppelmoral ist ein legitimes Kind der bürgerlichen Trennung von Privatem und Öffentlichem - und das war ein zivilisatorischer Fortschritt. Im Übrigen lässt sich an der Doppelmoral auch der Stand der Emanzipation ablesen. Wer doppelmoralisch agieren darf, ohne bestraft zu werden, ist als gleichberechtigt akzeptiert.

In Hessen kann man sehen, welches Unheil ohne jene tolerierte Doppelmoral droht. Dort ist die Sozialministerin Marlies Mosiek-Urbahn zurückgetreten, weil sie sie sich von ihrem Mann getrennt hat. Gerüchten zufolge hat die CDU-Fraktion sie gemobbt. Vielleicht ist sie gedrängt worden, vielleicht auch nicht. Was zeigt das? - Mit der Gleichberechtigung der Geschlechter ist es in Hessen nicht weit her. Wenn die Ministerin ein Minister wäre, dann wäre sie noch im Amt.

Zudem ist dieser Fall die konservative Variante der "Politik in der ersten Person". Damit wollten die Spontis in den 70ern Privates und Öffentliches eng zusammenrücken und bürgerliche Doppelmoral bekämpfen.

Und: Die Ex-Ministerin schreibt, dass die Trennung von ihrem Mann "die Glaubwürdigkeit der werteorientierten Familienpolitik" behindere. Eine Geschiedene darf nicht Familienministerin sein. Offenbar soll in Hessen die heile Familie als stählerne Norm gelten, alles andere als minderwertige Abweichung. In Kochs Country soll nicht nur die Sozialpolitik aus Wisconsin herrschen - sondern auch die stickige Moral des "Bibelgürtels" der USA. In Wiesbaden riecht es streng nach Werte-Fundamentalismus. Ohne Doppelmoral. Zumindest für Frauen.

Stefan Reinecke

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