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Deutsches Trauma: Sogar ein Gartenzwerg muss dafür herhalten. Aber muss man deswegen gleich harmlose Touristen festnehmen?

© dpa

Hitlergruß, Tourismus, Karneval: Was ist Fa, was Antifa?

Vor dem Reichstag wurde unlängst ein Kanadier festgenommen, weil er den Hitlergruß entbot, aus Spaß. Malte Lehming über deutsche Geschichte, Tourismus - und Karneval.

Auch Hitler war ja ein Plagiator. Was anderen einfiel, fiel ihm wieder ein. „Mein Kampf“ zum Beispiel. Darin stecken haufenweise Ideen von Arthur de Gobineau, die der französische Schriftsteller in seinem vierbändigen „Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen“ (1855) entwickelt hatte. Geklaut hat Hitler ebenfalls von Houston Stewart Chamberlain, dem Schwiegersohn von Cosima Wagner. Zum Glück hat Hitler für „Mein Kampf“ keinen Doktortitel haben wollen.

Ein dreistes Plagiat ist auch der Hitlergruß, der bei den Nazis „Deutscher Gruß“ hieß, um den Diebstahlsakt zu verschleiern (vgl. Tilman Allert, „Der deutsche Gruß - Geschichte einer unheilvollen Geste“, Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2010, S. 66 ff.). Die Symbolik – das Erheben und Geradeausstrecken des rechten Arms (im Fall körperlicher Behinderung des linken Arms), während die geschlossene flache Hand auf Augenhöhe leicht schräg nach oben weist – hatte Hitler bei Benito Mussolini abgekupfert, der sich wiederum am Römischen Gruß (Saluto Romano) orientiert hatte. Durch Anordnung des Reichsinnenministeriums vom 22. Januar 1935 wurde der Hitlergruß für Beamte, Behördenangestellte und –arbeiter verpflichtend (vgl. Allert, S. 39). In den letzten Jahren der NS-Herrschaft wurde die Nichterwiderung des Hitlergrußes sogar bestraft. Hitler selbst grüßte meist anders: den Unterarm angewinkelt, die Hand abgeknickt nach hinten.

Das muss man sich mal vorstellen: Millionen Deutsche wurden vom Regime eines charismatischen Plagiators genötigt, sich untereinander mit einer plagiatorischen Geste zu begrüßen. Ein ganzes Volk! So etwas hinterlässt tiefe seelische Narben. Und es führt zum Schwur: Nie wieder! Kein Wunder, dass der Hitlergruß nach dem Krieg schnell verboten wurde und heute mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden kann. So weit, so deutsch.

Nun wurde am vergangenen Samstag ein kanadischer Tourist festgenommen, der den Hitlergruß gezeigt und sich dabei vor dem Reichstag hatte fotografieren lassen. Immer wieder kommt so etwas vor, sagt die Polizei, dass ausländische Touristen in Berlin den Hitlergruß zeigen und sich dabei ablichten lassen, aber nicht, weil sie rechtsextrem seien, sondern einfach aus Jux. Für diese Touristen bilden Deutschland und Hitlergruß eine Art historische Einheit. Wie Deutschland und Bier oder Deutschland und Rummenigge oder Deutschland und Mercedes.

Was der arme Kanadier wohl nicht wusste: Den Hitlergruß in der Karnevalszeit zu zeigen, mochte Hitler gar nicht gern, weil er Angst hatte vor Herabwürdigung der Sakralität des Grußes. Nun ist das Thema „Karneval und Nazis“ durchaus komplex – einerseits versuchte die NSDAP, den Frohsinn zu vereinnahmen, andererseits war Hitler selbst nie bei einer karnevalistischen Veranstaltung, weil er Witze über sich hasste. Aber der Kanadier hätte geltend machen können, den Hitlergruß ironisch gemeint zu haben. Dann nämlich bleibt er straffrei. Ebenso wie bei Verfremdungen oder Verzerrungen. Prinz Ernst August von Hannover hat einmal das Verhalten eines seiner Ansicht nach zu rigiden Zollbeamten auf dem Flughafen Hannover mit dem Erheben des Armes zum Hitlergruß kommentiert. Bestraft wurde er dafür nicht (vgl. Allert, S. 109).

Erlaubt bleiben auch die goldfarbenen Gartenzwerge des Wertheimer Künstlers Ottmar Hörl, die ebenfalls den rechten Arm zum Hitlergruß ausstrecken. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart lehnte entsprechende Ermittlungen ab, weil bei der „Gesamtschau die Gegnerschaft zur Ideologie hinreichend deutlich“ würde. Die Zwerge würden den Nationalsozialismus der Lächerlichkeit preisgeben.

Wann ist der Hitlergruß ernst, wann lächerlich? Wann ist er Fa, wann Antifa? Berlins bekanntester Querulant, der bayerische Rentner Roland T., zeigt öfter mal den Hitlergruß. Er kommt dann regelmäßig vor Gericht und behauptet ebenso regelmäßig, damit die rechte Ideologie anprangern zu wollen. Seinem Schäferhund-Mischling, den er „Adolf“ genannt hat, brachte er sogar bei, auf Befehl die rechte Pfote zum Hitlergruß zu heben. Dafür kam das Herrchen 1995 für fünf Monate in den Knast, während „Adolf“ ins Tierheim gesteckt und entnazifiziert wurde. Als erstes wurde er in „Adi“ umgetauft und ihm dann beigebracht, die Pfote nicht mehr ganz so hoch zu heben.

Was weder Roland T. noch sein Hund „Adolf“ wussten: Im Jahre 1941 hatte ein finnischer Antifaschist seinem Hund „Jackie“ ebenfalls beigebracht, die Pfote zum „Führergruß“ zu heben. Hitler tobte vor Wut, weil er sich zutiefst beleidigt fühlte, und beauftragte gleich drei Ministerien – Auswärtiges Amt, Wirtschaftsministerium, Präsidialkanzlei -, den Hund, einen Dalmatiner, und dessen Halter aufzuspüren. Wegen der unklaren Beweislage wurde am Ende jedoch auf eine Klage verzichtet.

Ist nun ein Hund, der den Hitlergruß zeigt, Fa oder Antifa? Und wäre ein Jude, der in Deutschland den Hitlergruß zeigt, Fa oder Antifa? Schließlich war 1937 ein strenges Grußverbot für Juden erlassen worden – ein „Beweis für die implizite Sakralität und zugleich soziale Exklusivität der Geste“ (Allert, S. 62). Könnte ein Jude im Nachkriegsdeutschland daher nicht automatisch reklamieren, den Hitlergruß gewissermaßen ironisierend zu zitieren, im Unterschied zu Mitgliedern der Hisbollah, die den plagiatorischen Gruß ja ebenfalls plagiiert haben?

Die guten Deutschen sagen, der Hitlergruß muss verboten bleiben. Nie wieder dürfen die Menschen auf einen gemeinen charismatischen Plagiator hereinfallen, der die „Stimme des Volkes“ über Recht und Gesetz stellt. Solche Personen müssen durch einen Aufstand der Anständigen hinweggefegt werden. Wahrscheinlich haben diese guten Deutschen recht. Keine Macht den Kopisten! Auch das lehrt uns schließlich die deutsche Geschichte.

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