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Hochzeitsmesse: Über die Liebe reden

Sprachlos in Dresden: Die Synode der Protestanten verheddert sich in Organisationskram.

Wenn Verliebte voneinander schwärmen, klingt das für andere Ohren oft kitschig. Um das zu vermeiden, sprechen Verliebte lieber davon, wie oft man den anderen sieht, welchen Film man gemeinsam gesehen hat oder wie man verhütet. Über die Organisation der Liebe zu sprechen ist einfacher als von der Liebe selbst. Wenn aber auch Liebende unter sich nur noch von der Organisation sprechen, kann es passieren, dass sich die Liebe davonmacht. Im Dresdner Kongresszentrum sitzen dieser Tage viele Dutzend Verliebte beisammen. Dort findet keine Hochzeitsmesse statt, sondern die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Aber ist Religiosität nicht die Schwester der Liebe? Auf dem Tagungsprogramm steht nichts Geringeres als die Identität der Kirche. Wer sind wir? Was ist das spezifisch Evangelische? Wie soll es weitergehen? Spannende Fragen. Und dann geht es doch nur wieder um die Organisation und so wenig um das Eigentliche: um die Erfahrung eines Mysteriums, um den Glauben, um das Evangelium. Denn die Kirche hat ein Sprachproblem. Aber nicht nur das.

Der Hauptvortrag riet den Protestanten, sie sollten sich als Non-Profit-Organisation verstehen, betriebswirtschaftlich auf der Höhe der Zeit, kampagnenfähig. Es fehlte nicht der Hinweis auf Luther und die Freiheit des Christenmenschen, die sich in einer Organisationsstruktur am besten verwirklichen lasse. Denn es geht nicht nur um Strukturen in Dresden, Theologie kommt schon vor. Fast jeder Vortrag verweist irgendwann auf Gott oder beginnt mit einem Bibelspruch. Aber kaum jemand schafft es, die Botschaft und die Form zu verzahnen – die einen sprechen morgens in der Bibelarbeit über religiöse Erfahrungen, die anderen nachmittags über kirchlichen Strukturen. Kanzleramtschef Thomas de Maizière hatte in seinem Grußwort gesagt, die Kirche müsse eine unverwechselbare Sprache finden, weil ihre Botschaft unverwechselbar ist.

In Dresden gab es bisher keine Anzeichen, dass man sich auf diesen Weg gemacht hätte. Doch Sprache ist nicht irgendwas. Sprache schafft Identität, weil man sich über das Sprechen seiner selbst bewusst wird. Sprache ist zudem das Medium gerade der evangelischen Kirche. Hängt es mit Demut zusammen, dass sich die Protestanten nicht trauen zu sagen, warum sie das alles machen? Bloß nicht aufdrängen, sonst meckern die Atheisten wieder? Vielleicht liegt die religiöse Sprachlosigkeit auch daran, dass es in den 70er und 80er Jahren in der evangelischen Kirche reichte, auf die Bibel zu verweisen, um ein Argument kaputt zu machen. Nach dem Motto: Jesus hat nichts von Betriebswirtschaft verstanden, also brauchen wir das auch nicht.

Doch erst wenn sich die Protestanten auf den Weg machen, diese ganz eigene Sprache für ihre Botschaft zu finden, jenseits von esoterischem Geschwurbel und professoraler Bibelkritik, kann deutlich werden, worin das Besondere, das Eigentliche besteht. Das ist bestimmt nicht einfach. Aber einen ernsthaften Versuch sollte es wert sein. Beim Sprechen über die Liebe sind schließlich nicht nur Kitschorgien entstanden, sondern die schönsten Gedichte der Weltliteratur.

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