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Ich habe verstanden: Der Mainstream zieht ins Schloss Bellevue

Christian Wulff ist nicht modern. Er ist nicht zukunftsweisend. Christian Wulff ist Mainstream und präsentiert sich auch gern so: Er liest den kleinen Prinzen, geht zum U2-Konzert und hat eine tätowierte Frau.

Ich habe Christian Wulff nicht gewählt, noch nie, logischerweise, denn ich habe niemals in Niedersachsen gelebt und ich bin kein Mitglied der Bundesversammlung. Ohne jetzt zu viel über meine politischen Präferenzen zu verraten: Selbst, wenn ich in Niedersachen gelebt hätte oder Mitglied der Bundesversammlung gewesen wäre, hätte ich Christian Wulff nicht gewählt. Ich finden den ein bisschen crazy.

Christian Wulff antwortete in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ auf die Frage, welches Buch er denn mitnehmen würde auf eine einsame Insel: „Der kleine Prinz“. Warum? Weil da so Sachen drin stehen würden, dass man nur mit dem Herzen gut sehen könnte, jedenfalls besser als mit den Augen. Außerdem erfuhr man in den vergangenen Wochen noch, dass er demnächst mit seiner Frau Bettina ein U2-Konzert besuchen wolle, und zwar im „Innenraum“, Frau Wulff mag es nicht auf der Tribüne. Das verwundert ja nicht, denn Frau Wulff ist, auch das wissen wir längst, tätowiert, am rechten Oberarm trägt sie was, was manche für ein „Tribal“ halten, einige wollen wissen, dass es noch eine zweite Tätowierung gibt. Der neue Bundespräsident nennt diese Tätowierungen „cool“.

Eine so genannte Patchwork-Familie sei nun das, was da ins Schloss Bellevue einzieht, Wulff ist geschieden, hat mit seiner ersten Frau ein Kind und mit seiner zweiten Frau auch eines, die zweite Frau brachte zudem noch eine Tochter mit in die Ehe, deshalb soll es auch im Büro des neuen Bundespräsidenten eine Ecke für die Kinder geben. Vielleicht kommt ja mal Veronica Ferres vorbei, die mag Kinder gerne, und Christian Wulff sowieso, sie gehörte zu den sogenannten prominenten Unterstützern. Der kleine Prinz, U2, Tattoos, Patchwork, Veronica Ferres. Das ist nicht das, was Journalisten recherchiert haben, das ist das, womit Christian Wulff in den vergangenen Wochen hausieren gegangen ist. Es ist das, von dem er will, dass es die Deutschen von ihm wissen. Wissen wir jetzt – und es wäre für alle Beteiligten besser, wenn wir es nie erfahren hätten.

Denn was wohl eine gewisse Lässigkeit und Dynamik und Lebensfreude ausdrücken will, ist tatsächlich der kleinste gemeinsame Nenner: Der kleine Prinz und U2 – man muss lange nachdenken, bis man auf mehr Konsens, mehr Mainstream in den Bereichen Literatur und Musik kommt. Seine 38-jährige Frau ist tätowiert – es ist wahrscheinlich nicht ganz so einfach, jemanden unter 40 zu finden, der nicht tätowiert ist. Die Patchwork-Familie – seit vielen Jahren in diesem Land nichts sonderlich ungewöhnliches, für viele Mütter, für viele Väter eine Realität – unrealistisch allerdings, dass viele Mütter, viele Väter ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen können. Und Veronica Ferres – herrje – angeblich würden viele deutsche Männer ja mal gerne mit der, es gibt da so Umfragen, und ich habe auch eine kleine private Umfrage angestellt: einige Arbeitgeber würden ein Empfehlungsschreiben von Veronica Ferres eher als Makel sehen.

Bevor aber jetzt einige denken: Was will der Kolumnist, die Wahl ist gelaufen, wenn der Wulff nicht den Köhler macht, haben wir den jetzt für fünf Jahre als Bundespräsidenten – stimmt alles, und vielleicht wird Christian Wulff ein guter Bundespräsident, man hofft es für ihn, man hofft es für uns. Und ich hoffe zudem, dass jetzt nicht ständig versucht wird, in dem Mann einen zukunftsweisenden Modernisten zu sehen, einen lässigen Politiker, der das Leben und die Menschen kennt, weil er bei einem U2-Konzert im Innenraum steht. Das ist keine Leistung. Das ist auch nichts Besonderes. Und in fünfzehn Jahren werden wir vielleicht einen Bundespräsidenten oder eine Bundespräsidentin haben, die mal bei einem Oasis-Konzert besoffen von der Bühne gefallen ist. Das soll die oder der dann aber bitte schön für sich behalten – man sollte die Menschen nicht mit Belanglosem auf die Nerven gehen. Auch nicht als Bundespräsident. Unter dem Aspekt wäre Joachim Gauck natürlich... Ach, spielt jetzt ja auch keine Rolle mehr.

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