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Reumündig zeigte sich Christian von Boetticher. War es die Liebe, die ihn zu einer Persona non grata machte?

© Reuters

Ich habe verstanden: Fall Boetticher – Nicht richtig, aber auch nicht verboten

Am Sonntag nahm die Liebe dem CDU-Politiker Christian von Boetticher die Karriere. Von den Vorwürfen mag man halten was man will, aber der Politiker ist mit Sicherheit kein Strauss-Kahn oder Kachelmann.

Dass die Liebe ein seltsames Spiel sei, das ahnte bereits Connie Francis im Jahre 1960. Ihre Recherchen in dieser Sache ergaben außerdem, dass die Liebe kommt und geht, und zwar vom einen zum anderen. Ferner behauptete Francis: „Sie (die Liebe, Anmerkung des Kolumnisten) nimmt uns alles, doch sie gibt auch viel.“

Am Sonntag nahm die Liebe dem CDU-Politiker Christian von Boetticher die Karriere. Der 40-Jährige war eigentlich als Nachfolger des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen vorgesehen, aber dann kam ans Licht, was wohl im Dunkeln bleiben sollte: von Boetticher hatte eine Affäre mit einem 16-jährigen Mädchen, das er auf Facebook kennengelernt hat. Und seit Sonntag, seit diesem Rücktritt, weiß man jetzt Dinge von dem Mann, die man vorher nicht wusste – man wusste ja nicht so genau, dass es überhaupt einen CDU-Politiker namens von Boetticher gibt. Aber jetzt, wo eigentlich alles zu spät ist, weiß man, dass er ein „Weiberheld“ gewesen sein soll, angeblich verheiratet, womöglich mit der Frau, die er mit seiner Facebookbekanntschaft betrogen hat, die er wiederum in einem Düsseldorfer Hotel das erste Mal gesehen haben soll, wo eventuell mehr passierte als freundschaftliches Händeschütteln.

Kolumnist Matthias Kalle über das seltsame Spiel der Liebe und CDU-Politiker Christian von Boetticher.

© promo

Von all dem kann man halten, was man will. Es ist, auf eine Art, nicht richtig. Es ist, auf eine andere Art, nicht verboten. War es Liebe? Das wissen am Ende wohl höchstens zwei Menschen, vielleicht nur einer. Aber von Boetticher ist mit Sicherheit nicht Strauss-Kahn, nicht Kachelmann, nicht Roman Polanski – der Regisseur hat eine 13-jährige vergewaltigt – und er ist nicht Michael Jackson und Humbert Humbert ist er schon mal überhaupt nicht, denn Humbert Humbert gibt es nicht, er ist eine Romanfigur von Nabokov, er verliebt sich in die zwölfjährige Lolita, und dieses Buch ist große Literatur, während die Affäre von Boetticher ein kleiner Skandal ist, eventuell war es eine mittelmäßige Romanze, aber ein 40-Jähriger kann nicht mit einer 16-Jährigen zusammen sein, immerhin darüber schienen sich alle einig zu sein.

Wirklich? Frauen, die sich vollkommen zu Recht für klug und emanzipiert halten, zuckten in der vergangenen Woche mit den Schultern, wann immer das Gespräch auf von Boetticher kamen. Ihr Urteil: Halb so wild. Das lag aber vielleicht auch daran, dass sie sich wieder aufregen mussten über Alice Schwarzer, die einen „offenen Brief“ an Charlotte Roche schrieb (auch Oliver Kahn schrieb einen Art „offenen Brief“, darin sagte er, Philip Lahm und Bastian Schweinsteiger hätten keine Führungsqualitäten – Kahn und Schwarzer meinen im Prinzip das gleiche).

Für die klugen, emanzipierten Frauen meiner Generation war Alice Schwarzer vor zehn Jahren eine Heldin. Eine, die vieles, vielleicht sogar noch mehr, möglich gemacht hat. Eine Wegbereiterin, Vorkämpferin, eine, die fast alles richtig gemacht hat. Doch dieses Verhältnis zerbrach irgendwann, die klugen, emanzipierten Frauen wandten sich ab – vielleicht, weil ihr Männerhass nicht allzu groß war, vielleicht, weil sie zum Sex, zum Körper, zu sich selbst ein anderes Verhältnis haben als die Frauengeneration vor ihr. Genau kann ich das ja nicht wissen, so als Mann.

So als Mann komme ich mir dann doch übrigens im Moment vor wie ein Gast in einer Talkshow, in der nur Frauen oben auf der Bühne sitzen und sich unterhalten. Und um mich herum sitzen auch nur Männer, hören zu, machen sich ihre Gedanken und sagen lieber kein Wort, außer vielleicht Henryk M. Broder oder Thomas Steinfeld. Außerdem bin ich unglücklich über die Zusammensetzung meines Kaders im kicker-Managerspiel, aber mit wem kann man darüber schon sprechen?

In dem Buch von Charlotte Roche geht es übrigens nicht um Sex. Es geht um Liebe. Darum, dass sie ein seltsames Spiel ist. So ähnlich wie Fußball.

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