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Ich habe verstanden: Matthias Kalle über reinliche Berliner und das Verwahrlosungsproblem

Mit der Toleranz ist es nicht weit her gegenüber denen, die es gerne ein bisschen sauberer in Berlin hätten. Dabei kehren echte Berliner sehr wohl vor ihrer eigenen Haustür. Wenn das alle machen würden, könnte man sich in dieser Stadt vielleicht auch mal um wichtigeres kümmern.

Kurze Frage: wenn einer also seit neun Jahren in Berlin lebt und mit einer gebürtigen Berlinerin verheiratet ist – ist der dann immer, immer, immer noch ein Zugezogener? In der zitty-Redaktion zum Beispiel, da gilt unter „zwei Generationen“ niemand als Berliner, zwei Redakteure liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen: dritte Generation der eine, vierte Generation der andere. Beides übrigens sehr reinliche Menschen.

Beide waren allerdings noch nie in Kalkutta, sie wissen nicht, wie es da so aussieht, sie kennen nicht das Müllproblem dort, sie kennen das Müllproblem hier – und sie erkennen es auch als Problem und nicht als gottgegebene Tatsache. Sie sagen nicht: Berlin war schon immer dreckig. Sie sagen eigentlich gar nichts, sondern schmeißen ihren Müll in dafür vorgesehene Behältnisse.

Sie machen also im Kleinen das, was die BSR jetzt im Großen macht: die Stadt sauber. Und tatsächlich hat man diese Woche den Eindruck, dass die BSR einen guten Job macht, ständig sind sie unterwegs, sie machen und tun und schuften und es wäre mal ganz interessant, was sie von dem Satz von Rolf Lindner halten, dem Professor für Stadtethnologie, der am Donnerstag im Tagesspiegel stand: „Wir leben in der einzig wahren Großstadt Deutschlands, und zu einer Metropole wie dieser gehört eben ein gewisses Maß an Unsauberkeit und Chaos.“ Ein gewisses Maß. Das für den Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel offensichtlich überschritten ist. Der Mann wohnt in Mitte und hat festgestellt: „Berlin hat ein Verwahrlosungsproblem.“

Berlin hat Hertha, die S-Bahn, Udo Walz – und jetzt also auch noch ein Verwahrlosungsproblem. Oder gehört das am Ende alles zusammen? Oder muss man, tolerant und weltoffen wie wir ja gerne wären – all das ertragen, weil auch das Gute nur zu haben ist, wenn man das Schlechte akzeptiert? Und ist der, der gegen das Schlechte wettert sofort und eindeutig ein Spießer – also jener Typus, als der man sofort beschimpft wird, wenn man an einer Ampel hält, wenn sie auf gelb springt und nicht noch einmal Gas gibt? Bei denen, die so was machen, da hört ja die Toleranz oft auf.

Sowieso scheint es mit der Toleranz nicht weit her zu sein gegenüber denen, die es gerne ein bisschen sauberer in Berlin hätten. Die bekommen dann schnell mal den Hinweis, sie sollten doch bitteschön sofort verschwinden (meist genannte Reiseziele: Stuttgart, München).

Das man Berlin verlassen sollte – diesen Rat gibt selten ein gebürtiger Berliner. Berliner ertragen jeden. Berliner kehren vor ihrer eigenen Haustür. Und wenn das alle machen würden, dann könnte man sich in dieser Stadt vielleicht auch mal um wichtigeres kümmern. Zum Beispiel um Hertha. Michael Preetz kommt übrigens aus Düsseldorf.

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