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Ich lebe jetzt in …: … Irland

Antje Joel über die beinahe unheimliche Hilfsbereitschaft auf der Insel – besonders bei schlechtem Wetter.

Lenny, der zwölf ist, sagte den irgendwie traurigen Satz: „Warum müssen hier alle so freundlich und höflich sein? Das geht mir auf den Keks.“ Ich weiß, was er meint. Die irische Freundlichkeit kann verflucht verunsichernd sein. Für jemand, der solche Freundlichkeit nicht gewohnt ist. Zum Beispiel war ich neulich in der Stadt unterwegs, im Feierabendverkehr, viel Stop & Go, viel Geschalte, hoher Benzinverbrauch, die Tankanzeige auf Reserve. Ein Elektrohändler lud gerade Toaster aus seinem Transporter in seinen Laden. „Bis zur nächsten Tankstelle? Eine gute Meile.“ Ich sagte: „Auweia. Das Auto und ich kennen uns noch nicht gut. Wie weit schafft es ein Toyota in der Reserve?“ Er fragte: „Haben Sie einen Kanister?“ Natürlich nicht. Er sagte: „Augenblick, ich schließe den Laden ab und fahre hinter Ihnen her. Wenn der Sprit ausgeht, schleppe ich Sie zur Tankstelle.“ Der Sprit ging nicht aus. Wir schafften es, der Toyota und ich, den Elektromann hinter uns. An der Tankstelle angekommen, winkte er und fuhr davon.

Zum Beispiel: mein Nachbar George. 64 Jahre alt, klein und alltags immer in Trainingshosen. George ist von märchenhaftem Gleichmut. Mein Vermieter sagt: „Ich habe nie erlebt, dass George sich aufregt. Aber wenn es so weit sein sollte, Mann, dann will ich nicht dabei sein.“ Als ich ein neues Stück Weide für meine Pferde bekam, zäunte George das Stück am selben Tag ein. Ich hatte nicht darum gebeten. Ich sagte: „George, das ist doch meine Sache.“ George, dem mein Schuldgefühl so unheimlich war wie mir seine Hilfsbereitschaft, sagte: „No problem.“ Und brachte das Thema aufs Wetter.

Dann brachen die Pferde aus. In einer Regennacht. Der regnerischsten seit Jahren. So versicherten alle Nachbarn, die mit nach den Pferden suchten. Wie bei „Lassie“. Wunderlicherweise schien der Umstand, dass das Wetter so beklagenswert war, ihren Eifer und ihre Laune zu heben. Auch wie bei „Lassie“. Die einzig nicht „Lassie“-Taugliche war ich: „Du hast von uns als Nachbarn gewiss schon die Schnauze voll.“ George antwortete: „Es ist gut, Gesellschaft zu haben.“ So dachten offenbar alle. Nach drei Stunden im Regen tranken wir Tee, sprachen vom Wetter und davon, dass wir die Pferde sicher noch finden. Wenn es hell wird und der Regen aufhört. Und richtig: Sie standen in Nachbars Garten. Offenbar fanden sie’s gut, Gesellschaft zu haben.

Die Autorin ist vor zehn Wochen nach Irland ausgewandert und berichtet hier von ihrem neuen Leben.

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