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Meinung: Ihr Einsatz bitte!

Nirgendwo steht, dass nur Schröder tricksen darf: Merkel kann sich einfach wählen lassen

Von Robert Birnbaum

Eins muss man der Union ja lassen: Sie hat etwas gelernt aus diesem Wahlsonntag. Und zwar erstens von Gerhard Schröder und zweitens von Johann Wolfgang von Goethe. „Auf groben Klotz ein grober Keil!“, hat der Dichterfürst in einem derben Neujahrsgruß empfohlen. Die Unionsversion geht so: Gerhard Schröder will Kanzler bleiben? Soll er’s doch versuchen – dann wählen wir Angela Merkel zur Minderheitskanzlerin.

Das klingt bizarr. Doch lehrt der Blick ins Grundgesetz: Unsere Verfassung sieht diese Variante vor, als Ausweg nach erfolglosen Versuchen, einen Kanzler mit Kanzlermehrheit zu wählen. Also für den Fall – diese Bedingung bitte merken, die wird später noch wichtig –, dass alle Koalitionsgespräche ohne Ergebnis bleiben. Dann ist von der Verfassung nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich gewünscht, dass das Land nicht regierungslos vor sich hin treibt, sondern dass der Test auf Mehrheiten im Bundestag gemacht wird. Und wer dort am Schluss die meisten Stimmen kriegt, wird Kanzler(in) auch ohne Kanzlermehrheit. Der Bundespräsident kann dieses Votum akzeptieren – oder wieder Neuwahlen ansetzen.

Bizarr trotzdem? Na ja: Auch die Mehrheitsverhältnisse lassen diesen Weg für Union und FDP zu. Wenn sich Oskar Lafontaines Linkspartei wie angekündigt heraushält, hat Merkel mit Schwarz- Gelb einen klaren Stimmenvorsprung vor Rot-Grün.

Schon weil es an diese schlichte mathematische Tatsache erinnert, lohnt sich das Gedankenspiel für die Union. Es setzt Schröders Ambitionen Grenzen und signalisiert der SPD: Ihr könnt uns keinen Kanzler Schröder aufdrücken. Es zeigt auch: Merkels Position in den Verhandlungen mit den anderen Parteien ist nicht ganz so schwach, wie sie der über den Wassern schwebende Schröder erscheinen lassen wollte.

Aber wie stark ist diese Position? Ganz simpel: So stark, wie die Union sie sein lässt. Die Kulisse der SPD, in der Schröder zum Wahlsieger aufgebaut ist, wird von der Hoffnung zusammengehalten, dass Merkel von den eigenen Leuten demontiert wird. Die Unionsfraktion hat das begriffen und dagegengehalten. Merkels Wiederwahl mit fast 100 Prozent ist das klare Signal, dass die vom Wähler gedeckelte CDU/CSU nicht bereit ist, sich auch noch vom Wahlverlierer demütigen zu lassen – obendrein einem mit schlechten Manieren, der deutlicher abgewählt worden ist als einst Helmut Kohl.

Übrigens gibt es noch eine Partei, die Gefallen daran finden kann, die Idee von der Minderheitskanzlerin zu protegieren; das ist die FDP. Guido Westerwelle weiß, dass die Liberalen den wundersamen Aufstieg zur Fast-Zehn-Prozent-Partei taktischen Wählern aus dem Unionslager verdankt. Für die wäre eine rot-rot-grüne Ampel Verrat, ein „Jamaika“-Bündnis als kleineres Übel zu akzeptieren und eine große Koalition erst, wenn anderes ausgeschöpft ist.

Man wird also verhandeln. Wenn nicht das schwarz-gelb- grüne Wunder von Jamaika passiert, wird die SPD sich irgendwann fragen müssen, ob sie an Schröder eine Chance auf eine stabile Regierung scheitern lässt – so wie die Union über Merkel wird nachdenken müssen. Wenn aber allein die SPD blockiert, hätten CDU und CSU recht schnell die Moral auf ihrer Seite. Es wäre ja die SPD, die keinen anderen Weg ließe als die Kanzlerwahl aufs Geratewohl, Risiko Neuwahl inklusive. Allzu trickreich? Im Grundgesetz steht nicht, dass nur Schröder tricksen darf. „Auf einen Schelmen anderthalbe“, mit Goethe zu sprechen.

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