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Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag in Templin.

© dpa

Rhetorik und die Bibel: Im Anfang war das Wort

Seit der Antike werben die Menschen mit ihr in der Hand für ihre Anliegen: Sieben Lehren der Bibel für öffentliche Kommunikation.

Wer öffentlich kommunizieren soll, wird dafür geschult. Dabei werden Regeln für erfolgreiche Kommunikation vermittelt und eingeübt. Wenn man sich klarmacht, dass seit der Antike Menschen mit der Bibel in der Hand öffentlich kommuniziert und nachhaltig für ihre Anliegen geworben haben, liegt die Frage nahe, welche Regeln sich aus diesem Buch ableiten lassen. Die Antwort auf diese Frage überrascht: Einige der Regeln wirken so, als ob sie aus einem Handbuch einer zeitgenössischen Kommunikationsagentur abgeschrieben sind. Andere Regeln passen allerdings kaum zum gegenwärtigen Stil öffentlicher Kommunikation. Würden sie beherzigt, würde sich Einiges ändern:

Rhetorische Regeln

1. Kurze Sätze machen: Vor allem die hebräische Bibel liebt kurze Sätze mit wenigen Worten, wie bereits ihr Beginn zeigt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe.“ In der Ursprache wird die Kürze noch deutlicher als in Übersetzungen: Man kann die Struktur dieser Sätze als „Da fiel Maus Loch“ charakterisieren. Die Knappheit der hebräischen Sprache ist auch in Texten des Neuen Testamentes noch spürbar, beispielsweise zu Beginn des Johannesevangeliums: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott.“

2. Sich nicht vor Wortwiederholungen scheuen: In jedem halbwegs guten Deutsch-Unterricht lernt man, Wiederholungen zu vermeiden und stattdessen Synonyme zu verwenden. Biblische Texte schärfen das Gemeinte durch gezielte Wiederholung ein, wie der bereits zitierte Beginn des Johannesevangeliums zeigt. Im Grunde besteht der Satz nur aus Wortwiederholungen: Dreimal wird „Wort“ verwendet, dreimal „Gott“ und zweimal „Anfang“. Der letzte Satz ist schließlich eine Wiederholung des ersten, wenn auch mit gewisser Umstellung. Zwei Hauptsätze beginnen mit „und“.

"So hau sie ab"

3. Sprechende Bilder verwenden, um komplizierte, beispielsweise ethische Sachverhalte auszudrücken: Insbesondere in den Evangelien sind gern sehr drastische Bilder verwendet, um komplizierte Sachverhalte knapp zu erläutern: „Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dich zum Abfall verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass du lahm oder verkrüppelt zum Leben eingehst, als dass du zwei Hände oder zwei Füße hast und wirst in das ewige Feuer geworfen“ (Matthäus 18,8). Natürlich könnte man auch mit vielen Sätzen versuchen zu erläutern, dass bestimmte Dinge wie beispielsweise übersteigerter Konsum einen Menschen vom eigentlichen Leben abhalten – aber stattdessen kann man auch ein Bild verwenden, das die Radikalität des Gemeinten durch einen besonders provokanten Vergleich mit einem Schlag verdeutlicht.

4. Vom Alltag her denken: Das Neue Testament verwendet gern Gleichnisse aus dem Landleben (also aus dem Alltag der allerersten Anhängerschaft Jesu), um eher komplizierte Sachverhalte zu illustrieren, wie das Gleichnis vom Sämann bei Markus zeigt (Markus 4,1–9): „Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen. Und es begab sich, indem er säte, dass einiges auf den Weg fiel; da kamen die Vögel und fraßen’s auf …“ Das Gleichnis will mit einem sprechenden Alltagsbild Antwort auf die schwierige Frage geben, warum sich manche Menschen die Verkündigung Jesu zu Herzen nehmen und andere überhaupt nicht.

5. Sich nicht vor den großen Themen fürchten und auch Dinge ansprechen, über die niemand gern in der Öffentlichkeit redet: Während wir gern denken, in der öffentlichen Kommunikation müssten schwierige Wahrheiten eher verschwiegen werden, scheuen sich biblische Texte nicht, solche Themen unumwunden anzusprechen. So heißt es beispielsweise, dass „das Trachten des Menschen böse von Jugend an“ ist (1. Mose 8,21), obwohl vermutlich schon in grauer Vorzeit lieber gehört wurde, dass der Mensch mit der Zeit immer besser wird: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ (Goethe).

6. Von Senden auf Empfangen umstellen. Im gotischen Kloster de Pedralbes in Barcelona lasen die Mönche im Refektorium die klassische Mahnung, beim Essen zu schweigen, in Gestalt eines Bibelverses an der Wand: „Höre schweigend und für deine Scheu wird dir guter Dank zufallen“ (Jesus Sirach 32,9). Auch im Neuen Testament wird davor gewarnt, zu viel zu reden: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen“ (Matthäus 6,7). An der Bibel kann man lernen, dass es besser ist, sich erst einmal etwas gesagt sein zu lassen, bevor man selbst davon zu reden beginnt. Anders gesagt: Nicht jede Geschichte ist gleich wirklich eine gute Story, sondern gelegentlich einfach nur skandalisiertes Gerücht und Geplapper.

7. Scheitern gehört zum Leben: Die scheinbar so erfolgreiche Kommunikation nach den Regeln biblischer Texte führte einen Protagonisten dieser Kommunikation ans Kreuz. Alles schien verloren. Niemand wollte mehr öffentlich kommunizieren und alle verzogen sich in ihre Häuser. Doch dann kam es anders und auch davon kann man lernen. Scheitern gehört zum Leben. Es muss aber nicht das letzte Wort über das Leben sein.

Der Autor hat den Lehrstuhl für Antikes Christentum an der Humboldt-Universität inne und ist Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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