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Meinung: Im Halbdunkel

Solange der Status des Kosovo ungeklärt ist, wird die Region nicht zur Ruhe kommen

Von Caroline Fetscher

An das Leben im Schatten hatte sich die kosovo-albanische Bevölkerung des Kosovo gewöhnt. In den Jahren der Apartheid unter dem Regime Milosevic war es notwendig, sich zu verstecken. Albanische Schulen waren in die Keller verbannt, die Wirtschaft spielte sich im Halbdunkel ab, eine Parallelarmee rekrutierte Rebellen. Wer Licht wollte, ging ins Exil. Seit dem Sieg der Nato über Milosevics Milizen im Sommer 1999 soll Licht sich auch im Kosovo ausbreiten, unter der Verwaltung der Vereinten Nationen (Unmik). Doch eine Tendenz zu Schatten- und Parallelsystemen, erklärt der jüngste Bericht der International Crisis Group (ICG) in Brüssel, ist nach wie vor beharrlich existent.

Wenn der Bundestag heute über die Verlängerung des Mandats deutscher Soldaten für die internationale Kfor-Truppe abstimmt, entscheidet er sich für das Mitwirken am Projekt Aufklärung im Kosovo. In dem Zweimillionenland ist das Potenzial für Spannungen noch immer groß. Von den acht demokratischen Standards, die das Kosovo erfüllen soll, ehe über den endgültigen Status verhandelt wird, ist bisher kaum einer wirklich erfüllt, fand dieser Tage der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Kofi Annan wird nun einen Sonderbeauftragten zur Überwachung der Fortschritte bei den Standards benennen. Das allein wird aber wenig kurieren.

Auch wenn Sören Jessen Petersen, der jetzige Unmik-Chef, wohl der dynamischste ist, den die UN bisher entsandten: Weder konnte er die hohe Arbeitslosigkeit von bis zu 60 Prozent wirksam eindämmen noch die Clan- und Mafiastrukturen auflösen, die ihre erbitterten, mitunter gewaltsamen Streitigkeiten in das Parlament in Pristina tragen. Alte Gewohnheiten einerseits, demokratische Unerfahrenheit andererseits wirken als mächtige Bremsen des Fortschritts. Und Investoren, die Arbeit bringen könnten, bleiben fern, vor allem, solange der Status des Kosovo ungeklärt ist: Wird es unabhängig sein, wie die albanische Mehrheit es will, oder ein Teil von Serbien-Montenegro, was Belgrad sich wünscht?

Diese Entscheidung, auf die man im Kosovo seit fünf Jahren wartet, muss bald fallen. Zahlreiche Nischen der Radikalisierung ortet der exzellente ICG-Report, der sich mit dem „Kosovo nach Haradinaj“ befasst, bereits jetzt. Der Ex-Premierminister Haradinaj, Anfang des Jahres ans Tribunal nach Den Haag überstellt, hatte, nach seiner wundersamen Wandlung zum Demokraten, als Rebellen-Veteran mit großem Einfluss immerhin dafür gesorgt, dass in diesem Jahr keine gewaltsamen Unruhen ausbrachen. Doch der luzide und exzellent geschriebene ICG-Report beschreibt die Situation vom April 2005 als „einen Telefonanruf von der Katastrophe entfernt“.

In Belgrad verwendet man die serbische Minderheit als Geisel und Verhandlungsmasse, um die internationale Gemeinschaft unter Druck zu setzen. Solange die Sicherheit der Serben im Land nicht garantiert ist, könne von Statusverhandlungen keine Rede sein. Auch die Rückkehr serbischer Flüchtlinge, deren Zahl Belgrad regelmäßig übertreibt, gilt für Serbien-Montenegro als notwendiger Meilenstein und als Vorbedingung für Debatten um den Status der mythisch besetzten Provinz Kosovo mit deren mittelalterlichen serbischen Schlachtfeldern, Klöstern und Heldengräbern.

Gleichwohl gewinnt der Realismus auf allen Seiten allmählich die Oberhand. Dass der Status quo tendenziell explosiv ist, haben wohl alle Beteiligten begriffen, und Vorgespräche für Statusverhandlungen werden bereits geplant. Sie werden ein weiterer Realismus-Test für Serbien, wo das Fernsehen heute noch unkommentiert Solidaritätskundgebungen für inhaftierte Kriegsverbrecher zeigt, wie etwa vergangene Woche, als der Hetzpolitiker Nikolic sich bei einer Livesendung aus dem Sava Centar in Belgrad für den inhaftierten Vojislav Seselj stark machte.

Die Phase erster Gespräche zwischen Vertretern aus Belgrad und Pristina wird aber auch ein Reifetest für alle Kosovo-Albaner sein, für die Opfer von gestern. Über die kaum vernarbten Wunden hinaus müssen sie an die Generation denken, die heute jeden Morgen ihre Bücher zur Schule trägt, Kinder, die das Recht darauf haben, in Frieden ihre eigene Reifeprüfung zu bestehen. In Mathematik und Biologie. Und mit Aussicht auf Arbeit. Erneute Unruhen kämen Belgrad entgegen und würden den Prozess im Kosovo um Jahre zurückwerfen.

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