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Meinung: Im Herbst

Von Sebastian Bickerich

Da geht eine Ära zu Ende, die eine gute war. Aleksander Kwasniewski, der stets verspätete, etwas hemdsärmelige, doch verlässliche und deutschlandfreundliche Präsident Polens traf gestern seinen ebenso hemdsärmeligen Gesprächspartner Gerhard Schröder – wohl zum letzten Mal. Im Herbst stehen Neuwahlen an, nicht nur in Deutschland, auch bei unseren Nachbarn, und die Zeiten werden sich ändern – womöglich dramatisch.

Deutsche und Polen haben viel gestritten in den vergangenen Jahren, über gegenseitige Vorurteile, über die von Deutschland verhinderte Freizügigkeit für polnische Arbeitnehmer – vor allem aber über den Umgang mit der Vergangenheit.

Die Besonnenheit beider Staatsmänner hat den von der deutschen Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach entfachten Streit um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ dabei knapp vor der Eskalation bewahrt. Nach langem Streit einigte man sich auf die salomonische Lösung eines gesamteuropäisches Netzwerks, in dem Vertreibungen dokumentiert und aufgearbeitet werden sollen. Jetzt, gewissermaßen als Vermächtnis, haben beide Politiker ihr Augenmerk auf den Wissenschaftsaustausch gelegt – ein auch in Deutschland immens wichtiges Thema, nimmt doch das Interesse junger Deutscher an Polen stetig ab.

„Durch nichts und niemanden“ dürften die deutsch-polnischen Beziehungen in Zukunft gestört werden: Deutlicher konnte Schröder am Ende seiner Begegnung mit Kwasniewski die Angst vor dem Wahlherbst nicht ausdrücken.

Es ist vor allem die Angst vor Lech Kazcynski, dem nationalpopulistischen Bürgermeister Warschaus, die Schröder umtreibt. Kazcynski profitiert in seinem Wahlkampf ausgerechnet von Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel, die in ihrem Wahlprogramm längst begrabene vertriebenenpolitische Positionen wieder hat aufleben lassen. Wie in einem System kommunizierender Röhren gewinnt Kazcynski jedes Mal dann Prozentpunkte, wenn Unionspolitiker ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin herbeireden. Gestern forderte Erika Steinbach sogar öffentliches Geld für den umstrittenen Gedenkort. Steinbach und Merkel müssen sich entscheiden, ob sie einem Populisten in Warschau so auf den Thron helfen wollen.

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