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Meinung: Im Prenzlauer Berg

Von Martin Rieger WO IST GOTT? Danke für ihren Begrüssungsbrief, sagte mir neulich eine junge Frau nach dem Gottesdienst.

Von Martin Rieger

WO IST GOTT?

Danke für ihren Begrüssungsbrief, sagte mir neulich eine junge Frau nach dem Gottesdienst. Gut, dass alle neuen Gemeindeglieder angeschrieben werden, dachte ich. So ganz neu war sie dann doch nicht in unserem Kiez. Zwei Jahre wohnte sie schon hier. Eine persönliche Krise ließ sie neue Fragen stellen. So wurde eine in der Heimat zurückgelassene Gewohnheit neu mit Leben gefüllt: das Leben als Kirche.

Vielen geht es ähnlich. Beim Abschied aus heimatlichen Gefilden werden kirchliche Bindungen zurückgelassen. Bis zu 200 Personen pro Monat ziehen in unsere Gemeinde im Herzen Berlins, in der jeder Zweite zwischen 25 und 35 Jahre alt ist. Wer vermutet schon, dass es rings um den Bahnhof „Schönhauser Allee“ eine große katholische Gemeinde mit über 6000 Mitgliedern gibt? Wo ist Gott? Mitten drin in unserer Stadt – zwischen den Menschen! Als Kirche versuchen wir mitzuhelfen, Menschen einander und Gott näher zu bringen.

So ist etwa die Begegnungsstätte für Senioren seit 25 Jahren ein Zentrum, wo Menschen verschiedener Bekenntnisse zusammenkommen, um Englisch oder Französisch zu lernen, Theater zu spielen, zu tanzen oder in der Bibel zu lesen. Viele Familien bilden Kreise, um Gemeinschaft zu erfahren. Sie treffen sich nicht nur unter dem Kirchturm. Aber ohne ihn wären sie sich wahrscheinlich nie begegnet. Im monatlichen Philosophiecafé diskutieren viele über „Gott und die Welt“. Ein „Theologischer Zirkel“ sucht akademisch nach Gottes Spuren. Eine der höchsten Geburtenraten Deutschlands, schon längst als „Prenzlauer Berg-Syndrom“ tituliert, führt zum hohen Verbrauch an Taufwasser und einer guten Auslastung unserer Kindertagesstätten. Häufig verändern Eltern nach der Geburt ihrer Kinder auch ihre persönliche Prioritätenliste. Da wird Gott manchmal neu gesehen.

Manchmal gibt sich Gott nicht gleich zu erkennen. Einer der seit 75 Jahren mithilft, ist der „betende Riese am Humannplatz“. Der Spitzname für den 40 Meter hohen, mächtigen Kirchturm stammt schon aus den dreißiger Jahren. Und auch das bedeutende expressionistische Bauwerk, die „St. Augustinus“-Kirche, erfreut kunsthistorisch Interessierte und Gott-Suchende gleichermaßen. Sechs Künstler werden in diesem Monat für drei Tage in und bei der Kirche „Heilige Familie“ leben und wirken. Sie lassen den Raum auf sich wirken. Am Wochenende nach Pfingsten sind die Exponate sichtbar. Werden die Künstler uns Gott näher bringen? Kann Kreativität im Hause Gottes überhaupt profan sein? Prenzlauer Berg – mehr Berlin geht nicht! Und Gott ist mittendrin!

Unser Autor ist Pfarrer im Prenzlauer Berg und Dozent für Katholische Theologie an der Universität der Künste.

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