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Meinung: Im Prinzip offen

Von Robert Ide Es hat mächtig geknallt in der SPD-Fraktion. Türen wurden zugeworfen, Männer brüllten sich an.

Von Robert Ide

Es hat mächtig geknallt in der SPD-Fraktion. Türen wurden zugeworfen, Männer brüllten sich an. Bundesinnenminister Otto Schily hatte einen Wutausbruch, Fraktionschef Struck entzog ihm das Wort. Es ging um ein altbekanntes, hochemotionales Thema: der Umgang mit den Stasi-Akten.

Im Stasi-Unterlagen-Gesetz stehen sich zwei Interessen unversöhnlich gegenüber. Da ist einerseits der Schutz der Persönlichkeitsrechte. Das heißt: Wer von der Stasi abgehört wurde, soll nicht noch über das Erspitzelte Rechenschaft ablegen müssen. So argumentierte auch Altkanzler Kohl, als er gegen die Öffnung seiner Akten vor Gericht zog. Kohl kam damit automatisch in Konflikt mit dem zweiten Prinzip des Gesetzes: Aufklärung der Vergangenheit. Dieses Prinzip lautet: Die Akten, auch die über den Westen, dürfen nach dem Untergang der DDR kein Herrschaftswissen bleiben.

Heute geht der Streit im Bundestag weiter. Ein Gesetzentwurf wird auf den Weg gebracht. Wieder stehen sich beide Grundprinzipien gegenüber. Grüne und SPD – mit Ausnahme Schilys – wollen Akten über Prominente öffnen, wenn die Betroffenen Einspruch einlegen können. Das letzte Wort hätte jedoch die Behörde. Die Union – in ihren Reihen der Abgeordnete Kohl – ist dagegen. Sie will, dass Betroffene die Veröffentlichung per Einspruch verhindern können.

Seit Einrichtung der Stasi-Unterlagen-Behörde existierten die Prinzipien Opferschutz und Aufklärung nebeneinander, im Widerstreit und doch in friedlicher Koexistenz. Die Behörde wog im Einzelfall ab, Streitfälle gab es kaum. Seit Kohls Klage geht das nicht mehr. Denn die Bundesrichter entschieden sich für das Prinzip des Opferschutzes. Seitdem dürfen Akten Prominenter, die bespitzelt wurden, ohne deren Zustimmung nicht mehr herausgegeben werden. Das Problem daran ist: Plötzlich gelten alle, die in den Unterlagen als „Betroffene oder Dritte“ auftauchen, als Opfer. Hatte die Stasi Informationen über sie gesammelt, konnten sie sich auf Kohl berufen – unabhängig davon, wie stark sie mit dem DDR-System verbandelt waren.

Das ist nicht im Sinne der Erfinder des Gesetzes. Nach der Diktatur wollten die Menschen Aufklärung über lokale Seilschaften; belastete Persönlichkeiten sollten in der Demokratie keine neuen Ämter mehr bekommen. Mittlerweile können Bücher über DDR-Geschichte nicht erscheinen, weil n von belasteten SED-Funktionären geschwärzt werden müssten. Die ostdeutsche Intention tritt damit gänzlich in den Schatten einer bundesdeutschen Rechtstradition, die den Einzelnen vor der Macht der Behörden schützt. Eine Tradition, die Schily vehement verteidigt. Mit allen Folgen.

Das Anliegen des Innenministers und der Union, die Betroffenen über ihre Akten entscheiden zu lassen, sieht auf den ersten Blick fair aus. Doch es wäre ein Rückschritt. Denn das Prinzip der Aufklärung würde wieder leiden. Natürlich muss das in den ostdeutschen Wendewirren entstandene Gesetz langsam an das bundesdeutsche Rechtssystem angepasst werden. Auch müssen nach dem Kohl-Urteil die Rechte des Einzelnen stärkere Betonung finden – Einwände dürfen nicht nur per Verwaltungsrichtlinie erlaubt sein, sondern müssen per Gesetz klar geregelt werden. Die Stasi-Machenschaften bei ostdeutschen Funktionsträgern und westdeutschen Politikern lassen sich allerdings schwer aufklären, wenn alles vom Votum der Betroffenen abhängt. Auch wenn es im Einzelfall schmerzt: Bespitzelte dürfen nicht das letzte Wort darüber haben, ob ihre Akte gesperrt oder gelöscht wird. Sonst wäre das Stasi-Unterlagen-Gesetz kein Öffnungsgesetz mehr, sondern eine Verschlusssache. Und so war es 1989 nicht gemeint.

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