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Im WORT laut: „Wo kommen wir eigentlich her?“

Im Interview mit dem „Spiegel“ beschreibt Altbundeskanzler Helmut Schmidt die Grenzen der Außenpolitik angesichts der deutschen Geschichte.

Wir Deutschen bleiben eine gefährdete Nation. Das sind wir, seit sich am Ende des Mittelalters die Aufteilung des Christentums in mehrere verschiedene, einander bekämpfende Konfessionen nirgendwo in Europa schlimmer ausgewirkt hat als hierzulande. In Deutschland hat das dazu beigetragen, dass wir uns erst spät als Nation begriffen haben. Erschwerend kommt die zentrale Lage hinzu. Wir haben neun unmittelbare Nachbarn – die Engländer, Schweden, Italiener und Russen nicht mitgezählt. Wenn wir stark waren, sind wir zentrifugal nach außen vorgestoßen, in Phasen der Schwäche stießen die anderen zentripetal in die Mitte Europas vor. Dazu Hitlers imperialistischer Weltkrieg und der Völkermord in Auschwitz!

Das sind schwere Belastungen, die in dieser Form kein anderes europäisches Volk zu tragen hat. Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen – zum Beispiel, dass wir gute Nachbarschaftspolitik nötiger haben als andere Nationen in Europa; zum anderen Beispiel, dass wir keine große Rolle in der Weltpolitik zu spielen haben –, fällt einigen Landsleuten schwer …

Was die inneren Angelegenheiten anderer Staaten betrifft, so hat unsere Regierung weder den Russen noch den Amerikanern und schon gar nicht den Chinesen öffentliche Ratschläge zu geben. Seit wann wissen wir Deutschen denn, was ein Rechtsstaat ist und wie eine Demokratie zu funktionieren hat? Wo kommen wir eigentlich her? Wir kommen von Adolf Nazi her, von Tirpitz, von Ludendorff, von Wilhelm II., von Bismarck. Und jetzt schwingen wir uns plötzlich auf und belehren China, wie es mit den tibetanischen Mönchen umzugehen hat?

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