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Meinung: „In meinem Herzen waren die Fans“

Es war offenbar keine sehr komplizierte Operation. Eine Titanplatte im Kinnbereich mit zwölf Schrauben, eine weitere mehr seitlich am Unterkiefer, zehn Schrauben, Routine.

Es war offenbar keine sehr komplizierte Operation. Eine Titanplatte im Kinnbereich mit zwölf Schrauben, eine weitere mehr seitlich am Unterkiefer, zehn Schrauben, Routine. Und die beste Nachricht für den Mittelgewichts-Boxweltmeister Arthur Abraham: Die Platten können das ganze Leben lang drinbleiben – möglicherweise macht das sein Kinn stabiler, wenn er wieder einmal so heftige Prügel bekommt wie in seinem Titelkampf gegen den Kolumbianer Edison Miranda. Abraham, der 26-jährige gebürtige Armenier, ist also guter Dinge. In drei Monaten will er wieder ins Training einsteigen.

Das ist hart, sogar überhart bis wahnsinnig, sofern man normale körperliche Maßstäbe anlegt, die bei Boxern aber nicht zu gelten scheinen. Aus der Gosse zu den Sternen – das ist auch hier wieder einmal der Antrieb. „Er kommt von ganz unten“, sagt sein Trainer Ulli Wegner, „kennt Armut, will jetzt ganz oben bleiben. Daher die enormen Willensqualitäten.“ Abraham kam mit seiner Familie 1995, 15 Jahre alt, nach Deutschland und war schon zwei Jahre später deutscher Meister im Mittelgewicht. Zusammen mit seinem offenbar nicht weniger schlagstarken Bruder Alex fiel er dem Promoter Wilfried Sauerland auf, der beide an den für seine Härte bekannten Trainer Wegner vermittelte.

Die Abraham-Website findet blumige Worte für das, was dann folgte: „So schliff Wegner die Späne des harten armenischen Holzes Span um Span ab.“ Dieser Schliff ermöglichte ihm einen Auftritt bei Stefan Raab und brachte ihn als Beisitzer zur Miss-Germany-Wahl, Beschäftigungsprogramm für aufstrebende Champions zwischen den Kämpfen. Unter dem armenischem Holz trat aber vor allem jene Persönlichkeit zutage, die die „Bild“-Zeitung nun den „Blut-Boxer“ nennt.

Was da genau passierte in der brutalen Ringschlacht, ist ihm wohl selbst nicht ganz klar. „In meinem Herzen waren die Freunde und die Fans in aller Welt, da habe ich gedacht: Jetzt kannst du nicht aufgeben“, schrieb er aus dem Krankenhaus – die tadellose Diktion eines domestizierten Gladiators, der genau weiß, dass die Boxwelt Geschichten wie seine braucht, um Legenden zu weben: Nicht aufgeben, auch wenn Verstand und Körper etwas anderes sagen, nur auf die Einpeitschrufe des Trainers hören.

Abrahams nächster WM-Kampf wird kommen. Und vermutlich werden viele Fans ein wenig enttäuscht sein, wenn dabei weniger Blut fließt.

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