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Protestmarsch für den in den Unruhen getöteten Jugendlichen in Kairo.

© Reuters

Islam und Demokratie: Lupenreine Demokraten sind eine Rarität

Die Zeit der Euphorie ist längst vorbei: Ägypten hat mit dem Erbe der "Arabellion" schwer zu kämpfen. Das Land muss erkennen, dass zu einer Demokratie mehr gehört als die Herrschaft der Mehrheit.

So schnell kann das gehen. Eben noch hat die Welt den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi gefeiert für seine Vermittlerrolle beim allerjüngsten Nahost-Konflikt. Da aber befeuert er mit seinen willkürlichen Selbstermächtigungserlassen sogleich wieder die Konflikte im Inneren Ägyptens. Ansätze von mehr Rechtsstaatlichkeit und die Hoffnung auf eine – trotz Vorherrschaft der Muslimbruderschaft – Entwicklung zur pluralen Demokratie werden zerschlagen. Wenn Mursi den Mullah gibt.

Die von Kairos Tahrir-Platz ausgegangene Revolte gegen den alten Machthaber Hosni Mubarak hatte auch im westlichen Ausland viele fabelhafte Hoffnungen geweckt. Die „Arabellion“, die Empörung und Mut mit einem Radical Chic zu vereinen schien, wurde zum neuen politischen Label. Ein Markenzeichen für die ersehnte Verbindung von Meinungs- und Religionsfreiheit, von bürgerlichen Rechten und sozialer Gerechtigkeit in einem mehrheitlich muslimischen Land. Heute aber berichten (selbst)kritische arabische Politiker, Künstler und Intellektuelle, unter ihnen vor allem viele engagierte Frauen, dass sich in Tunesien, Libyen, Ägypten weit weniger verändert habe, als zunächst erhofft.

Nicht nur in Israel hatten Skeptiker früh gemahnt. Die Arabellion werde am Ende nicht unbedingt mehr Demokratie und auch Frieden in Nordafrika und in Nahost bedeuten. Und Syriens brutaler Machthaber Assad warnt West und Ost, dass er als einer der letzten in der Region einen säkularen Staat verkörpere und nach ihm nur noch viel mehr Blut fließen werde – wenn sich Syrien in einen zweiten Irak verwandle.

Kaum war er gestürzt, da wurde der eben noch allseits hofierte ägyptische Ex-Präsident Mubarak als „Diktator“ bezeichnet. Tatsächlich war er wohl nicht viel diktatorischer – oder anders gesagt: autoritärer – als die langjährigen Staatschefs in fast ganz Afrika und in großen Teilen der übrigen Welt. Lupenreine Demokraten sind eine Rarität. Was alle anderen nicht entschuldigt. Aber man sollte die Fakten doch von schönen Hoffnungen oder gar Illusionen trennen.

Demokratie bedeutet mehr als die Herrschaft der Mehrheit.

Eine schöne und wichtige Hoffnung ist die auf eine islamische Aufklärung. Sie hat historisch aus vielen Gründen, zu denen nicht zuletzt die Politik der westlichen früheren Kolonialmächte zählt, lange nur bei einer Minderheit stattgefunden. Auch während der Arabellion hat sie ihre Stimme erhoben, im Ruf nach mehr bürgerlicher Freiheit. Bei den Wahlen in Ägypten haben dann Muslimbrüder und Salafisten eine Mehrheit errungen. Wie auch Mohammed Mursi. Demokratie aber bedeutet mehr als die Herrschaft der Mehrheit. Sie verlangt: Schutz der Minderheit und die Möglichkeit, dass aus ihr beim nächsten Mal eine Mehrheit wird. Zudem sind elementare Menschenrechte keine Frage von Mehrheiten, von Religion oder Tradition. Sie gelten universell.

Eine islamische Republik? So nennt sich auch die iranische Diktatur. Unter Missbrauch der Religion. Denn in Wahrheit ist sie islamistisch, also religiös totalitär. Eine Demokratie, in der Muslime (oder Christen, Juden, Hindus) die Bevölkerungsmehrheit bilden und die Alltagskultur prägen, ist eine Demokratie: Wenn die Mehrheit andere Religionen, Parteien, Meinungen zulässt. Wenn Muslime auch das Recht haben, die Religion zu wechseln oder Atheisten zu werden. Wenn Frauen dieselben Rechte wie Männer besitzen. Wenn Recht und Justiz unabhängig sind von Regierung und Religion. So einfach ist das und so schwer. Für Mursi womöglich ein Menetekel.

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