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Europa-Parlament.

© dpa

Europa vor der Wahl: Ja oder Ja?

Der europäische Integrationsprozess spaltet Europa. Dagegen hilft kein Pathos und kein Martin Schulz - sondern die Auseinandersetzung der EU mit der entscheidenden Frage.

Am kommenden Sonntag geht es darum, wie wir in Zukunft leben wollen, es geht darum, ob sich die Freiheit durchsetzt oder der Markt. Am kommenden Sonntag wird in Berlin über die Teilbebauung des Tempelhofer Feldes abgestimmt.

Gleichzeitig findet die Wahl zum Europaparlament statt, und bei der geht es um Ja oder Ja. Es geht um Martin Schulz und Jean-Claude Juncker als Kandidaten der großen Parteien. Die treten gegeneinander an, sind aber in Wahrheit keine Gegner, sondern Verbündete, weil sie beide, am Ende vermutlich sogar gemeinsam, die Macht des Europaparlaments gegenüber den anderen europäischen Institutionen stärken wollen.

Beide haben im Wahlkampf den Eindruck erweckt, dass die Probleme in Europa geringer wären, wenn das EU-Parlament mehr und die Regierungschefs weniger Macht hätten. Helmut Schmidt, der sonst Wladimir Putin und China verteidigt, teilt diese Einschätzung und ruft das Parlament auf, endlich gegen die EU- Kommission zu „putschen“. Doch die Macht von einer europäischen Institution zu einer anderen europäischen Institution zu verschieben, umgeht, politisch geschickt, aber nicht besonders hilfreich, wieder die entscheidende Frage: Wie viel Macht soll Brüssel überhaupt haben?

Was will die EU sein?

Die Europäische Union hat lange davon profitiert, dass sie offengelassen hat, was sie sein will, Staatenbund oder europäischer Superstaat, liberaler Markt oder Sozialunion. Auch Schulz spricht sich für das geplante Freihandelsabkommen mit den USA aus, aber nur so lange es nicht „die geltenden europäischen Sozial-, Umwelt-, Verbraucherschutz- und Datenschutzstandards“ unterminiert – als ob man sich die Europäische Union als neoliberalen Sozialstaat denken könnte.

Doch der Versuch, auch in der Euro-Krise alles Mögliche gleichzeitig sein zu wollen und dabei sowohl die Rolle der Staats- und Regierungschefs zu stärken (ESM) als auch die europäische Integration voranzutreiben (Bankenunion), hat zu einer dramatischen, europaweiten Entfremdung von Brüssel geführt. In der Euro-Krise hat die Union Schritte gemacht, die in unterschiedlicher Weise so skandalös waren, dass nun ganz unterschiedliche Gruppen verprellt sind: Die britischen Europa-Gegner lassen sich in Deutschland noch leicht abtun, auch die radikalen Linken aus Griechenland oder die frustrierten Dänen, die „Schwedendemokraten“ und ebenso die populistischen Österreicher – doch die Desillusion Frankreichs trifft die Europäische Union ins Mark. Nur gut ein Drittel der Franzosen würde laut einer Umfrage für den Verbleib ihres Landes in der Union stimmen, 2009 haben nur 21 Prozent der Jungen an der Europa-Wahl teilgenommen. Die Ablehnung der EU ist dort inzwischen stärker als in Großbritannien.

Integrationsprozess führt die Europäer auseinander

Dagegen helfen keine Spitzenkandidaten, die ohnehin einer Meinung sind, auch kein historisches Pathos oder Kritik an populistischen Politikern, sondern nur eine Antwort auf die Frage, wie viel Integration, das heißt, wie viel Machttransfer an die gemeinsame Union heute noch politisch sinnvoll ist und von Ländern wie Frankreich getragen wird. Das schließt ein, dass am Ende nicht das Europaparlament mehr Macht bekommt, sondern die nationalen Parlamente – deren demokratische Legitimation schließlich nach all den Jahren noch immer weit höher ist. Denn der europäische Integrationsprozess, den vor allem die Deutschen vorantreiben und der ohne Debatte vermutlich unaufhaltsam weitergeht, führt die Europäer offensichtlich auseinander.

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