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Gedenken an die Toten, die an der innerdeutschen Grenze ihr Leben lassen mussten.

© dpa

Jahrestag des Mauerbaus: Jemand hatte die Absicht ...

Walter Ulbricht dachte wohl schon 1952 über die Mauer nach, die am 13. August 1961 errichtet wurde. Doch war er auch die treibende Kraft? Die DDR-Elite gibt der Sowjetunion die Schuld an den Mauertoten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Wenn die Erinnerungsstücke an eine bedrückende Zeit wie Kuriositäten vermarktet werden, sind entweder viele Jahre seit dem Entsetzlichen vergangen, oder die Nachgeborenen haben von der Dimension des Geschehenen nicht genug gehört.

Man kann das auch Verdrängen nennen, die Deutschen sind darin groß. Eine ganze Schülergeneration der heute etwa 70-Jährigen hat vom Grauen des Dritten Reichs nicht viel mitbekommen, weil ihre Geschichtslehrer Soldaten waren und mit der Bewältigung der eigenen Fronterlebnisse zu tun hatten. Wenn hingegen nur ein Drittel der Deutschen unter 30 Jahren mit dem Datum 13. August 1961 den Bau der Mauer in Berlin verbindet, ist das vermutlich eher ein Problem der Lehrpläne. Und für den, der am früheren Checkpoint Charlie Mauerfragmente je nach Gewicht ab 4,90 Euro kaufen kann, ist damit weniger der traurige 13. August 1961 als der glückliche 9. November 1989 verbunden, der Tag, an dem die Mauer fiel.

Auch heute, 53 Jahre nach dem Baubeginn des aus Sicht der SED „antifaschistischen Schutzwalls“, sind die Historiker immer noch nicht einer Meinung, ob letztlich Walter Ulbricht oder Nikita Chruschtschow die treibende Kraft bei der Errichtung des Sperrwerks war. Darin aber, dass Ulbrichts Satz vom 15. Juni 1961, „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“, eine Lüge war, sind sich alle einig. Axel Klausmeier, der Direktor der Stiftung Berliner Mauer sieht in den Sowjets die entscheidende Instanz. Das liest sich genauso bei dem DDR- Forscher Manfred Wilke, und auch der Historiker Gerhard Wettig stimmt zu. Er zitiert in diesem Zusammenhang eine Nachricht des KGB-Chefs in Ost-Berlin, Scheljepin, vom 20. Juli 1961 nach Moskau: Die DDR sei durch die Massenflucht in akuter Gefahr, man müsse handeln.

Vor allem für die ehemalige DDR-Elite ist das von entscheidender Bedeutung. Egon Krenz gibt der Sowjetunion die Schuld an den Mauertoten – 138 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime zu Tode. 251 Reisende aus Ost und West verstarben im Zusammenhang mit den Kontrollen an Berliner Grenzübergängen.

Eine dezidiert andere Meinung dazu vertritt Hope Harrison, Professorin an der George-Washington-Universität. Sie belegt, dass Ulbricht seit 1952 eine Grenzschließung anstrebte und dass Chruschtschow über Ulbrichts anhaltend stalinistische Politik frustriert gewesen sei. In der Tat gibt es eine so deutbare Äußerung des Chefs der KPdSU gegenüber dem damaligen deutschen Botschafter, Kroll, vom Ende des Jahres 1961.

Im Rückblick am weitsichtigsten beurteilt eine Mitteilung des Warschauer Paktes vom 13. August 1961, dem Tage des Mauerbaus, die Situation: Die Notwendigkeit der Mauer entfalle mit einer Friedensregelung für Deutschland. Die Maueröffnung in Berlin am Abend des 9. November 1989 machte den Weg zu dieser Friedensregelung frei. Ob am Ende zwei oder ein deutscher Staat stehen würden, war da noch offen. Dass es keine Grenztoten mehr geben würde, stand hingegen fest.

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