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Meinung: Jünger, aber nicht jung genug

Wer macht im Bundestag Politik für die Enkel?

Sie werden fehlen, wenn der neue Bundestag heute zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt: Helmut Kohl, der Altbundeskanzler, der in der vergangenen Legislaturperiode die Politik bei den Pfälzer Parteifreunden auf den hinteren Plätzen verfolgte – mal amüsiert, mal empört. Oder Norbert Blüm, der langjährige Arbeits-und Sozialminister; Heiner Geißler, Rita Süssmuth, Teo Waigel – eine ganze Generation, die mit oder gegen Helmut Kohl die Politik der 80er und 90er Jahre gestaltete, gehört dem neuen Bundestag nicht mehr an.

Es ist das Ende einer alten, der Beginn einer neuen Ära. Noch nie saßen so viele Frauen im Parlament – fast ein Drittel der Abgeordneten sind weiblich – und: noch nie so viele Junge. Die jüngste, Anna Lührmann von den Grünen, ist gerade mal 19 Jahre alt. 21 Abgeordnete sind unter dreißig. Und dass, obwohl die Gesellschaft kontinulierlich älter wird. Müsste sich das nicht im Parlament widerspiegeln, das doch eine Volksvertretung sein will. Nicht nur besorgte Politologen kritisieren das fehlende „Lebenswissen“. Bei den jungen Parlamentariern würden die Probleme der alternden Gesellschaft kein Echo finden.

Das sind gewichtige Einwände. Aber mal abgesehen davon, dass das Durchschnittsalter der Parlamentarier in dieser Legislatur immerhin 50 Jahre beträgt, lässt sich die Sache nicht auch anders herum sehen? Die Politik wurde viel zu lange auf dem Rücken der Jungen ausgetragen: Fehlende Reformen sorgen für ein kollabierendes Renten- und Gesundheitssystem, in dem die Jungen für die Alten zahlen, selbst aber einer ungewissen Zukunft entgegen sehen. Auch die Arbeitsmarktmisere, bei der zunehmend junge Qualifizierte auf der Straße sitzen, ist ein Beleg für eine Politik, die wenig Zukunft im Blick hatte. Es wird also höchste Zeit, dass die Jüngeren für die Durchsetzung ihrer Interessen eintreten. Aber können sie das überhaupt?

Die Newcomer im Parlament würden wohl sagen: Ja! Sie haben – bei allen inhaltlichen Differenzen – vieles gemeinsam: vor allem ein nicht gerade geringes Selbstbewusstsein. Anna Lührmann von den Grünen würde am liebsten alles auf einmal umkrempeln, der 22-jährige Jens Spahn, der aus Protest gegen seine linken Lehrer in die CDU ging, fordert nichts Geringeres als eine „Neue Wertorientierung“, der junge Liberale Daniel Bahr findet den bisherigen Politikstil schlicht „arrogant“.

Das wirkt naiv und anmaßend, ist es aber nicht unbedingt. Denn die neue Generation geht mit einem, wie der junge Grüne Berninger mal formulierte, fast „ätzenden Pragmatismus“ an die Arbeit: Im Vordergrund steht die Machbarkeit, ideologische Scheuklappen gibt es kaum. So können die Enkel bei den Grünen mit Etikettierungen wie „Fundi“ und „Realo“, wenig anfangen. Viele Nachrücker aus der Union könnten sich auch eine schwarz-grüne Zusammenarbeit vorstellen. Und die jungen Sozialdemokraten kritisieren die Borniertheit vieler alter „Sozis“.

Der Pragmatismus jenseits der Partei–Gräben könnte Horizonte öffnen. Fragt sich nur, ob die Nachrücker auch Durchsetzungskraft entwickeln, die es für die Erneuerung braucht. Immerhin steht dem jüngeren, weiblicheren Parlament ein Kabinett gegenüber, in dem vor allem die älteren und alten Männer das Sagen haben. Die einstigen Landesfürsten und politischen Schwergewichte Wolfgang Clement und Manfred Stolpe werden schon dafür sorgen wollen, dass des Kanzlers Wunsch, die Macht des Parlaments weiter zu schmälern, in Erfüllung geht.

Da braucht es nicht nur Selbstbewusstsein, um gegenzuhalten, sondern strategische Klugheit. Und Augenmaß. Und die Alten? Für die ist gesorgt – schon längst.

Simone von Stosch

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