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Lars Ruppel (29) ist deutschsprachiger Poetry Slam Meister - mit Gedichten über Redewendungen.

© promo

Deutschsprachiger Poetry Slam Meister Lars Ruppel: Es grüßt Holger, die Waldfee

Lars Ruppel dichtet über Redewendungen: Von Schmidt's Katze bis Volker Racho. Damit wurde er deutschsprachiger Poetry Slam Meister. Häufig ist sein Publikum aber gar nicht so jung. Ein Treffen in Berlin.

Alte Menschen sitzen in einem Stuhlkreis, ein junger Mann mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen steht in der Mitte. Das Publikum mancher Auftritte von Lars Ruppel ist eher ungewöhnlich für einen Poetry-Slammer. Die Zuschauer des 29-Jährigen sind dement, er möchte trotzdem in ihrer Erinnerung bleiben. „Weckworte“ heißt sein Projekt, mit dem er in Fortbildungen für Pflegekräfte oder Angehörige zeigt, wie sie klassische Gedichte in die tägliche Pflege integrieren. Und zwar so, das ist ihm besonders wichtig, dass die alten Menschen ernst genommen werden. Sie haben ja nicht immer so wenig verstanden.

Normalerweise steht Lars Ruppel aber auf einer Theaterbühne, auch mal in einem Club oder in einem Keller mit Podest. Junge Leute quetschen sich auf die meist zu wenigen Stühle oder Bänke, um sich Gedichte anzuhören. Dort geht es weniger um den Erlkönig, als um die Digitalisierung der Gesellschaft, das Individuum in der großen Welt, Erwachsenwerden und den Kapitalismus. Moderne Poesie halt. Ruppel steht jährlich auf etwa 200 Bühnen. Am 1. November gewann er die deutschen Poetry-Slam-Meisterschaften in Dresden. Die „Nationals“ seien eine emotionale Herausforderung, sagt er, weil man die Aufregung und das Bier mit 120 Mitstreitern teilt. „Man schläft kaum und unterhält sich die ganze Zeit nur über Slam.“ Diese Tortour zieht sich über fünf Tage, allein zum Finale kamen über 1100 Zuschauer. Ausverkauft, wie die meisten Veranstaltungen der Meisterschaften.

„Herr Bertold Specht war zweifelsohne/ eine Spechthandwerksikone“

Mit Holger fing alles an. Holger, die Waldfee. Holger? „Ich hatte mich wirklich mal verhört. Holla? Oder Holger?“. Dann kam die Idee mit den Redewendungen. Mit Gedichten über Schmidts Katze, Volker Racho oder den lieben Herrn Gesangsverein steht Ruppel auf der Bühne. Das klingt so: „Der Herr, der sich so echauffiert/ ist großflächig und unrasiert/ und doch des Waldes treuer Geist/ Es ist die Fee, die Holger heißt.“ Um diese Kunstfigur spinnt sich Lars Ruppels Gedicht. „Einst war der Holger die Fee aller Wälder/ Herrscher der endlosen Baumkronenfelder“, bis das Forstamt mit Ikea verhandelt und sagt: „Die brauchen Stühle, und wir brauchen Geld/ Alle gewinnen, so leicht ist die Welt“. Doch die haben die Rechnung ohne Holger gemacht. Die Natur wehrt sich. „Von Weitem sind Rauchwolken gut zu erkennen/ Die Seelen der Trucks, die am Waldrand verbrennen“. Und schon ist man nicht mehr beim Redewendungenklamauk. Typisch für Lars Ruppel, diese moralischen Anekdoten. Noch deutlicher bei „Herr Specht“.

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„Herr Bertold Specht war zweifelsohne/ eine Spechthandwerksikone“. Doch vom Chef kam nur ein „Nicht schlecht, Herr Specht“. Das Gedicht ist die Parabel auf einen fleißigen Arbeiter in Form eines Vogels, dem aus fadenscheinigen Gründen gekündigt wird, wegen  „Konjukturproblemen/ Steuern, die die Wirtschaft lähmen/ explodierten Nebenkosten/ und Billigmaden aus dem Osten“. Der Schluss: „Wenn Geld sich gegen Spechte wendet/ wenn Moral am Zahltag endet/ wenn sich der Wald in Markt verwandelt/ und jeder für sich selber handelt/ dann ihr Spechte und Spechtinnen/ dann soll unser Kampf beginnen./ Noch geht´s vielen hier nicht schlecht/ dank so Typen wie Herrn Specht. / Drum lasst uns uns’re Krallen ballen: Dieser Wald gehört uns allen.“

"Ich liebe diese schlechten Veranstaltungen"

Die Meisterschaften liegen mittlerweile ein paar Wochen zurück. Alltag: Bahn fahren. Eigentlich jeden Tag. „Wenn ich weiß, dass ich einen Text schreiben muss, dann plane ich meine Zugfahrten als Schreibzeit ein.“ Aber er sieht es als Privileg, so viel zu tun zu haben.

Eigentlich kommt Lars Ruppel aus Gambach bei Frankfurt. Ein Kumpel schleppte ihn 2002 auf einen Slam. „Er hat erkannt, dass ich großes Potential als Selbstdarsteller habe, damals als junger Punker.“ Provinzpunker wie er hätten damals so ausgesehen, wie sie sich das in Katalogen abgeguckt hatten. „Wir haben versucht, Jackass darzustellen, das hat aber nur dazu geführt, dass wir in Gebüsche gesprungen sind und Milch getrunken haben, bis wir uns übergaben.“ Auf der Fahrt zum ersten Slam schrieb er einen Text über Geräusche in der Annahme, es gehe darum, die Leute zum Mitmachen zu motivieren.

Darum geht es beim Poetry Slam eigentlich weniger. Das Prinzip ist einfach, die meisten Slams sind gleich aufgebaut. Jeder Dichter hat eine bestimmte Zeit zum Vortragen seiner Gedanken, in der Regel zwischen fünf und sieben Minuten, dann kürt das Publikum per Applaus den Gewinner. Während der Beiträge ist das Publikum still. Ruppels Mitmachnummer ging dementsprechend in die Hose. „Trotz allem habe ich gesehen: Das ist krass. Das will ich auch machen“.
Er hat weder Ausbildung, noch Studium begonnen – warum auch? „Wenn ich etwas über die Arbeit mit Demenzkranken lernen wollte, habe ich es einfach ausprobiert.“ Oder die Organisation der U20-Poetry-Slam-Meisterschaften im September diesen Jahres: „Solange beim Ausprobieren niemand verletzt wird, ist das okay“, sagt er. Es hat ja auch funktioniert.
Mittlerweile wohnt er nur noch die halbe Zeit in Hessen. Die andere Zeit verbringt er in Berlin. Die Liebe. Sonst hätte er sich die Stadt nicht ausgesucht. „Es ist so entsetzlich wenig Geld in der Stadt, vom Slammen kann man hier keine Miete zahlen.“

Ruppels Begründung für seine Slam-Begeisterung kommt unerwartet: „Ich liebe diese schlechten Veranstaltungen, bei denen künstlerische Beiträge einfach nicht gut sind und trotzdem mit Respekt behandelt werden.“ Dieses Prinzip ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß. „Entweder sind wir Typen wir Dieter Bohlen gewohnt und finden es gut, wenn Leute denunziert werden, oder wir leben in einer Till-Schweiger-Kultur, in der alles Effekt ist.“ Aber Poetry Slam ist keins von beidem. „Wir sind alles Laien, haben keine Sprechausbildung, aber was uns attraktiv macht, ist unsere Authentizität.“ Die Bühne ist für jeden offen. Darum sollen auch Menschen an Gedichten teilhaben, die es nicht mehr ins Theater schaffen. Vor ein paar Jahren hat Lars Ruppel den amerikanischen Slammer Gary Glazner eingeladen. Er leitet das „Alzheimer Poetry Project“ in den USA. Ruppel entwickelte es zu „Weckworte“ weiter und nennt seine Tätigkeit „Lesebegeisterungsfortbildung“. Das würde auch auf den Poetry Slam passen.

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Simon Grothe

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