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Die Nebenklägerin im Prozess gegen den wegen des Verdachts der Vergewaltigung angeklagten Meteorologen Jörg Kachelmann.

© dapd

Kachelmann-Prozess: Eine Zeugin, keine Zweifel

Kachelmanns Richter sind nicht befangen – erwecken aber den Eindruck fehlender Distanz.

Ein Strafrichter, der einen Angeklagten vor sich hat, ist voreingenommen, vielleicht sogar festgelegt. Er glaubt, Unschuldsvermutung hin oder her, an die Schuld des Delinquenten, den ihm die Staatsanwaltschaft präsentiert.

So verwunderlich das klingt, es folgt aus dem Gesetz. Ein deutscher Richter darf eine Anklage nur zulassen, wenn er die spätere Verurteilung für wahrscheinlich hält. Unjuristisch gesprochen: Jeder Richter, der einen Prozess führt, kann gar nicht anders, als in gewisser Weise befangen zu sein – eine deutsche Spezialität, die an den Strafprozess besondere Anforderungen stellt. Im Verfahren um Wettermoderator Jörg Kachelmann sieht es so aus, als würde man ihnen nicht gerecht.

Am Mittwoch hat das Landgericht Mannheim entschieden, Kachelmanns Kammer unter Vorsitz des Richters Michael Seidling sei nicht befangen. Es bestehe „keine hinreichende Veranlassung, Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit“ zu bezweifeln. Der Antrag von Kachelmanns Verteidigern sei deshalb unbegründet, das Verfahren wegen einer vom angeblichen Opfer behaupteten Vergewaltigung kann weitergehen.

Nun ist das Stellen solcher Anträge in derart aufmerksamkeitsstarken Prozessen so alltäglich wie ihre Ablehnung. Doch es ging um mehr als um prozessuale Kautelen. Es ging um die Frage, ob das Gericht sich von seinem Eröffnungsbeschluss hinreichend gelöst und zu der absoluten Objektivität und Ergebnisoffenheit gefunden hat, die ein solches Verfahren verlangt. Relevant ist nicht die Prominenz des Angeklagten – sondern die Tatsache, dass Aussage gegen Aussage steht und fünf Jahre Haft drohen.

Richter Seidling hatte es trotzdem unterlassen, die Hauptzeugin darauf hinzuweisen, dass sie ein Schweigerecht hat, wenn sie sich mit ihrer Aussage selbst belastet. Eine sinnvolle Belehrung, denn es steht eine Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung im Raum. Sinnvoll zumal, da die Zeugin bereits gelogen hat. Seidling hat die Belehrung nachgeholt und – formal korrekt – darauf verwiesen, sie sei erst nötig, wenn heikle Fragen kämen. Doch war es erstens unnötig und zweitens unüblich. Das Gericht mochte die Zeugin offenbar nicht sogleich mit der Haltung konfrontieren, man könnte ihr keinen Glauben schenken. Und man mochte sich schon gar nicht dem Willen der Verteidigung beugen, die eine solche Belehrung eingefordert hatte. Wenn das Gesetz vom „Anschein“ der Befangenheit spricht, den es zu vermeiden gilt – hier könnte er gewesen sein.

Am Mittwoch hat das Gericht die Zeugin erstmals zur angeblichen Tatnacht vernommen. Vielleicht fragte man hart und detailreich, suchte nach Widersprüchen, ließ kühle Distanz spüren. Dann kann ein Gericht den Eindruck wettmachen, es wolle auf eine Verurteilung hinaus. Doch man weiß es nicht. Die Wahrheitsfindung fand ohne Zuschauer statt. Umso wichtiger ist, im öffentlichen Teil die Waage im Gleichgewicht zu halten. Es reicht nicht, nicht befangen zu sein. Ein Richter muss sich frei machen können – auch von seinem Urteil, das er sich vor dem Urteil macht.

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