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Meinung: Kein Leben hinter Sichtblenden

Zum „Caroline-Urteil“: Von Zensur kann nicht die Rede sein

In der Haut von Gerhard Schröder möchte man nicht stecken. Jetzt soll der Bundeskanzler nämlich nicht nur die Hartz-Reformen bremsen, sondern auch noch die Zensur stoppen. Das Letztere fordern nämlich, nach – derzeitigem Stand – circa 64 deutsche Chefredakteure. Sie wenden sich mit ihrem Appell gegen einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Dieser hatte Ende Juni entschieden: Caroline von Monaco muss es sich nicht gefallen lassen, dass ihre Privatsphäre durch Fotos durchbrochen wird, die gegen ihren Willen aufgenommen und veröffentlicht wurden. Nun also soll der Bundeskanzler intervenieren. Er darf aber ruhig die Finger davon lassen.

Bei aller Scheu vor Kollegenschelte: Wer in diesem Zusammenhang überhaupt von Zensur spricht, hat weder theoretisch noch praktisch erfahren, was Zensur in Wirklichkeit ist – sondern er verletzt das Andenken jener, die wirklich unter Zensur zu leiden hatten. Zweitens: Wer das Straßburger Urteil wirklich gelesen hat, kann schlechterdings nicht zu dem Schluss kommen, es behindere die Darstellung von öffentlich relevantem Fehlverhalten verantwortlicher Persönlichkeiten. Weder die Fälle Biedenkopf, Welteke, Scharping noch andere, die da freihändig aufgezählt wurden, wären auch nur marginal von diesem Urteil berührt. Bevor man Zensur schreit, sollte man wenigstens genau lesen – jedenfalls als Journalist.

Nun zur Sache selber: Es ging in diesem Urteil weder um sachliche Informationen noch um strittige Meinungen, sondern allein um Fotos – und zwar um Fotos aus dem Privatleben einer Person, die zwar prominent ist, aber ohne jede amtliche oder politische Funktion lebt. Folglich besagt dieses Urteil, nichts, aber auch gar nichts (und vor allem nichts Einschränkendes) über die Frage, welches Maß an Kritik und Öffentlichkeit sich eine Persönlichkeit gefallen lassen muss, die für ihr Verhalten der Gesellschaft in irgendeiner Weise verantwortlich ist – sei es, weil sie in ein Amt gewählt wurde, sei es, weil von ihrem Tun und Lassen das Schicksal vieler Betroffener in anderer Weise abhängt.

Und nun zum eigentlichen Problem: Unumstritten bleibt, dass niemand in eine private Wohnung oder in ein umfriedetes Gelände eindringen darf, um Fotos aus der Intimsphäre zu erlangen, zu verkaufen und zu veröffentlichen. Ebenso unumstritten ist: Wer einer amtlichen, politischen oder sonst wie gesellschaftlich relevanten Tätigkeit auf öffentlich zugänglichen Plätzen nachgeht, muss es sich als absolute oder relative Person der Zeitgeschichte gefallen lassen, dass er abgelichtet wird. Die einzig wichtige Frage lautet: Gibt es ein schützenswertes Privatleben, das nicht nur auf die eigenen vier Wände beschränkt bleibt? Am Beispiel: Der Kanzler hält eine Wahlrede – das wird anstandslos fotografiert. Danach setzt er sich mit Oskar Lafontaine in ein Straßencafé – das wird rechtmäßig fotografiert, weil von legitimen öffentlichen Interesse. Danach trifft er sich mit Frau und Tochter in einer diskreten Ecke eines Restaurants zum Essen – das geht niemanden etwas an, denn auch ein Kanzler hat Anspruch auf ein Privatleben, zu dem er sich nicht hinter Sichtblenden flüchten muss. Das ist, kurz gefasst, die überzeugende Logik des Straßburger Urteils. Man fragt sich, weshalb die Karlsruher Richter demgegenüber einem rein sensationellen Entertainment nahezu Grundrechtsqualität einräumten – nachdem sie doch selber zuvor das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ erfunden hatten; und das zu Recht.

Wer sich also, gar mit dem Kampfruf „Zensur!“, gegen Straßburg und an den Kanzler wendet, bedient in Wirklichkeit nur das kommerzielle Verwertungsinteresse einer nicht näher zu qualifizierenden Promi-Publizistik. Das kann mit Wirtschaftsfreiheit zu tun haben, mit Pressefreiheit nicht.

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