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Meinung: Keine Kuhhändler

Von Thomas Gack

Von „Postenschacher“ und „Kungelei“ war die Rede, als die beiden großen Fraktionen im Europaparlament sich auf die Vorgabe einigten: der Linkssozialist Borrell wird Präsident des Parlaments, der Konservative Barroso Kommissionspräsident. Tatsächlich jedoch sind europäische Sozialdemokraten und die konservativchristdemokratische Europäische Volkspartei dazu verdammt, über die ideologischen Gräben hinweg zusammenzuarbeiten. Machen sie das nicht, verweigern sie in ideologischer Reinheit die Absprache mit dem politischen Rivalen, dann verurteilen sie das Europaparlament zur Macht- und Einflusslosigkeit. Das Straßburger Parlament hat in den vergangenen Jahren zwar ganz erheblich an Kompetenzen dazugewonnen. Ohne die Zustimmung des Europaparlaments läuft in der EU-Gesetzgebung fast nichts mehr. Europas Volksvertreter können diese Macht aber nur dann nutzen, wenn sie sich zusammenraufen. Nur wenn in Straßburg eine absolute Mehrheit zustande kommt, hat das EU-Parlament eine Chance, sich gegenüber der Brüsseler EU-Kommission und den im Ministerrat vertretenen 25 Regierungen durchzusetzen.

Im Unterschied zu den nationalen Parlamenten verlaufen die Konfliktlinien in Straßburg und Brüssel nämlich nicht zwischen Regierungsparteien und Oppostion – die es im EU-Parlament so nicht gibt. Stattdessen kämpfen oft die Brüsseler Kommission, der Ministerrat und das Straßburger Parlament um unterschiedliche Konzepte der Politik. Nur wenn das Straßburger Parlament einen gemeinsamen Standpunkt findet und nach außen geschlossen auftritt, kann es sich, das hat die Erfahrung gezeigt, durchsetzen und seine Haltung in die europäische Politik einbringen.

An der Notwendigkeit, zuerst im Parlament über die Grenzen der Fraktionen hinweg einen Kompromiss zu finden, wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Denn keine Fraktion bringt alleine die notwendige Mehrheit zustande – weder die Christdemokraten und Konservativen in der EVP noch die Sozialisten. Die Fraktionen müssen deshalb auch im neu gewählten EU-Parlament miteinander reden und Kompromisse aushandeln. In der Demokratie ist das übrigens ein ganz normaler Vorgang – in Deutschland wird er allerdings oft vorschnell als „Kuhhandel“ denunziert.

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